Günther Oettinger hat als Ministerpräsident früher als andere den Weg zu einem Bündnis mit den Grünen gesucht. Und auch sonst ist er schneller als andere, nicht nur im Denken und Reden. Manchmal zu schnell.

Stuttgart - Er ist nach wie vor viel unterwegs im Land, auch als EU-Kommissar; nicht mehr so rastlos wie in den Zeiten, in denen er noch als Ministerpräsident durch Baden-Württemberg pflügte, aber irgendwo kann man ihn eigentlich immer hören, was – Vorsicht: keine Ironie – dann doch jedes Mal ein Erlebnis ist, gemessen an der teils matten, teils platten Rhetorik, die sich seit Jahren in die Landespolitik einschleicht.

 

Dieser Tage gab es wieder Anlass, an Günther Oettinger zu erinnern, der nach der formidabel gewonnenen Landtagswahl 2006 plötzlich anfing, mit den Grünen über eine gemeinsame Regierung zu reden. Das Unterfangen war zwischen Charme und Chuzpe anzusiedeln – und hatte auch, nüchtern betrachtet, keine Aussicht auf Erfolg. Denn wie wollte er nach dem bereits ein Jahrzehnt währenden Bündnis mit der FDP den Wählern einen solchen Stellungswechsel vermitteln, so ganz ohne Ansage im Wahlkampf?

Immer für einen Haken gut

Aber ein Oettinger ist eben immer für einen Haken gut, manchmal schlägt er ihn mit Bedacht, manchmal in höchster Not. Mit Schwarz-Grün verhielt es sich so, dass der damalige Ministerpräsident wieder einmal früher als andere Wege suchte, wie die CDU Anschluss an den Geist der Zeit halten könnte. Ein Bündnis mit den Grünen galt ihm als Hebel, um die eigene Partei zu modernisieren – in der Gesellschaftspolitik zum Beispiel, in der Umwelt- und Energiepolitik oder auch in der Schulpolitik. Zudem beobachtete Oettinger, wie die SPD in den Ländern wahlweise mit den Grünen koalierte oder Unterschlupf in großen Koalitionen fand, also zwei Machtoptionen in der Hand hielt. Die CDU hatte die FDP, aber was, wenn es die nicht mehr gäbe? Nach der verlorenen Landtagswahl 2011 gab es in der Landes-CDU viele, die wehmütig an Oettingers Sondierungen des Jahres 2006 zurückdachten. Aber da war es bereits zu spät.

Einen Nothaken in letzter Sekunde schlug Oettinger, als er 2007 in der Trauerrede auf Hans Filbinger den vormaligen Ministerpräsidenten einen NS-Gegner nannte, um dann unter dem Druck nicht zuletzt von Kanzlerin Angela Merkel diese Wertung wieder zurückzunehmen. Von dieser historischen Irrfahrt sollte er sich nicht mehr richtig erholen.

Zweite Amtszeit unsicher

Dabei ist es nicht so, dass Oettinger die Dinge nicht durchdenken würde. Im Gegenteil, als Regierungschef musste er sich immer wieder nachsagen lassen, so lange zu prüfen und zu wägen, dass er darüber ganz vergaß, eine Entscheidung zu treffen. Die Nettonullverschuldung ist ihm aber dann doch gelungen, an der Verankerung der Schuldebremse im Grundgesetz hatte er als Vorsitzender der Föderalismuskommission entscheidenden Anteil.

In der Landespolitik kennt sich Oettinger aus wie kein Zweiter, seinen Vorgänger Erwin Teufel ausgenommen. Schon als Chef der Landtagsfraktion sog Oettinger Informationen auf wie ein Staubsauger. Selbst beim Haarschnitt durchkämmte er die Zeitungen, vor allem den Politik- und Wirtschaftsteil, weniger das Feuilleton, was sich im Streit um die badischen Handschriften als nachteilig erwies. Seinen Friseur aber trieb er schier in die Verzweiflung: Wie sollte der akkurat schneiden, wenn sich der Kopf ständig von links nach rechts und wieder zurück bewegt? Nun, es hat dann doch immer geklappt.

Ob Oettinger über 2014 hinaus eine zweite Amtszeit als Energie-Kommissar vor sich hat, ist offen. Das hängt nicht nur von seinem Wollen ab, mehr noch von der nächsten Koalition in Berlin und von der Frage, ob es der SPD-Politiker Martin Schulz, derzeit Präsident des Europäischen Parlaments, an die Spitze der EU-Kommission schafft. Als Kommissar kann Oettinger die großen Linien ziehen: vom Gas aus Aserbaidschan bis zum Atomendlager im „deutschen Süden“. Immer wieder dringen auch undiplomatische Sprüche aus Brüssel ins Land: Frankreich ist realitätsblind, Italien unregierbar. Er eckt an, aber deswegen muss er ja nicht falsch liegen. Und nun wird ihm vorgeworfen, aus dem Subventionsbericht zur Energiepolitik die Kosten für die Atom- und Kohlenergie herausgestrichen zu haben, um die Förderung der erneuerbaren Energien um so deutlich hervorzuheben. Langeweile lässt Oettinger jedenfalls nicht aufkommen. An diesem Dienstag feiert Günther Hermann Oettinger, von 2005 bis 2010 baden-württembergischer Ministerprsident, seinen 60. Geburtstag.