Im Schienennetz verhindern müssten zahlreiche Engpässe beseitigt werden. Doch die Kosten halten sich in Grenzen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Es ist ein krasser Widerspruch. Der Verkehr, dessen Schadstoffe dem Klima und der Gesundheit der Menschen enorm schaden, muss umweltschonender werden. Darin sind sich Politiker und Experten einig. Der Königsweg zu diesem Ziel: mehr Transporte auf der Schiene. Doch in der Praxis kommt die Verlagerung kaum voran, die Bundesregierung hat ihre Nachhaltigkeitsziele weit verfehlt. Nur magere 17 statt versprochener 25 Prozent betrug voriges Jahr der Anteil der Bahnen am gesamten Frachtaufkommen.

 

Experten kritisieren seit Jahren, dass in Deutschland viel zu wenig für den Ausbau des Schienenverkehrs getan wird. Jüngstes Beispiel: der Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP), den die Regierung Merkel kürzlich beschlossen hat. Auch das Umweltbundesamt sieht darin „ein völlig falsches Signal“, denn der Straßenverkehr würde damit in den nächsten 15 Jahren bevorzugt, moniert Präsidentin Maria Krautzberger.

Der zuständige Verkehrsminister Alexander Dobrindt gerät wegen der weiterhin straßenlastigen Verkehrsplanung, die im Herbst vom Bundestag beraten wird, zunehmend unter Druck. Denn wichtige Schienenprojekte könnten nach bisherigem Stand erst mit großer Verspätung verwirklicht werden. Ein Beispiel: der Ausbau des Netzes für den Einsatz von 740 Meter langen Güterzügen, der bisher in der Europäischen Union erlaubten Höchstlänge.

Ausweichgleise müssten verlängert werden

In Deutschland haben bisher gerade mal elf Prozent der Transporte eine Länge von mehr als über 700 Metern. Hauptgrund: Defizite bei der Infrastruktur. An vielen Stellen müssten Überhol- und Ausweichgleise verlängert oder neu errichtet werden, damit längere Güterzüge fahren können. Auch Leit- und Sicherungstechnik müsste angepasst werden, ebenso Verladeterminals. Die bundeseigene DB Netz hat 66 Ausbaumaßnahmen angemeldet, die Kosten schätzt der Dachverband Allianz pro Schiene auf höchstens 300 Millionen Euro.

Doch bisher haben Dobrindts Fachleute das 740-Meter-Güterzug-Netz nur als „potenziellen Bedarf“ im BVWP eingestuft. „Nur eine Hochstufung in den vordringlichen Bedarf, die wir schon länger fordern, würde eine rasche Umsetzung garantieren“, mahnt Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen. Auch die Chefs großer Frachtbahnen fordern von der Regierung nun den raschen Ausbau des Schienennetzes für längere Transporte.

Die Zuglänge sei der wirksamste Hebel zur Senkung der Kosten bei Schienentransporten, sagt der Chef der bundeseigenen DB Cargo, Jürgen Wilder. Mit dem 740-Meter-Netz könne die Bahn gegenüber dem Lkw wettbewerbsfähiger werden, und zwar bei Preisen und Qualität. Derzeit fahren die meisten Güterzüge wegen der Engpässe nur mit 25 bis 30 Waggons, erlaubt wären bis zu 35. Fast zwei Drittel der Transporte sind unter 600 Meter lang.

Dadurch werden die enormen Verlagerungs- und Umweltschutzeffekte durch Frachtbahnen bei weitem nicht ausgeschöpft. Ein einziger Güterzug mit 740 Metern Länge kann 52 Lkw ersetzen. Viele Länder setzen deshalb auf die Schiene. In Dänemark zum Beispiel sind wichtige Strecken sogar schon für 835-Meter-Züge mit 40 Waggons ausgebaut. Auf deutscher Seite wurde mit einem Pilotprojekt der 210 km lange Anschluss zu Europas größtem Rangierbahnhof Maschen bei Hamburg ausgebaut.

Erfreuliches Ergebnis: Im Testbetrieb wuchsen das Verkehrsvolumen um ein Viertel und die Auslastung um 22 Prozent. Innerhalb gut eines Jahres konnten 200 Zugfahrten durch die längeren Transporte eingespart werden. Nun soll sogar der Einsatz von 1500 Meter langen Zügen getestet werden. Nichts Ungewöhnliches: In einigen Ländern sind solche Transporte längst unterwegs, auch Frankreich plant ab 2018 den Einsatz von 1000-Meter-Zügen.

Die EU will ein Netz für 740 Meter lange Güterzüge

Die EU will bis 2030 zumindest ein Kern-Netz in Europa für 740-Meter-Züge schaffen. Viele der wichtigen Frachtkorridore führen durch Deutschland, zum Beispiel von den Nordseehäfen ans Mittelmeer. Auch der neue Gotthard-Tunnel ist für 740-Meter-Züge ausgelegt. Die Transportkapazität auf der Schiene werde dadurch um 30 Prozent bei gleicher Zugzahl gesteigert, meint Michael Stahlhut, Vorstand der SSB Cargo.

Der Tunnel sei eine „Mega-Chance“ für den Schienenverkehr in Europa, sagt Stahlhut. Auch Deutschland müsse diese Chance nutzen und sein Netz wie derzeit Italien für 740-Meter-Züge fit machen, mahnt der Schweizer. Ähnlich sieht man das bei der Hamburger Hafenbahn (HHB), deren Terminals längst für längere Transporte gerüstet sind. Doch bei der Abfuhr verhindern die Engpässe im Netz besonders gen Leipzig und Prag bisher zweistellige Effizienzgewinne, klagt HHB-Chef Harald Kreft.

Die meisten Experten sind sich einig: Vom raschen Ausbau des Netzes würden die Güterbahnen, die Volkswirtschaft und der Umweltschutz enorm profitieren und die Kosten dafür mehr als aufgewogen. Zumal auch die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Frachtmengen bis 2030 nochmals um 38 Prozent steigen werden. Um das politische Ziel zu erreichen, den Verkehr klimaschonender zu machen, führt an der Verlagerung auf die Schiene kein Weg vorbei.

Der BVWP 2030 stellt dafür aber bisher nicht ausreichend die Weichen. Nicht nur die Opposition hofft daher, dass der Bundestag deutliche Korrekturen durchsetzen kann.