Die Dortmunder Südtribüne bleibt an diesem Samstag leer. Ist das die richtige Reaktion des DFB auf die Ausschreitungen im Spiel gegen RB Leipzig? Nein, sagt der Sportphilosoph Gunter Gebauer im Gespräch mit Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Berlin - Im Spiel gegen den VfL Wolfsburg muss Borussia Dortmund ohne die Unterstützung aus der Südtribüne zurechtkommen. Diese Strafe wirft ganz unterschiedliche Fragen auf, auf die der Philosophie-Professor Gunter Gebauer ganz persönliche Antworten hat.

 
Herr Gebauer, halten Sie es denn für eine gute Idee des DFB, wenn am Samstag die Dortmunder Südtribüne leer bleiben muss?
Nein, das ist keine gute Idee, weil es eine Kollektivstrafe darstellt und es alle Fans von Borussia Dortmund trifft. Es fehlt die nötige Differenzierung zwischen gewaltbereiten und friedlichen Anhängern. Das kann etwas zur Folge haben, was eigentlich unbedingt vermieden werden sollte. Dass es jetzt womöglich von unbeteiligter Seite zu einer Solidarisierung mit Leuten kommt, die im Spiel gegen Leipzig die menschenverachtenden Banner aufgehängt oder hochgehalten haben.
Was wäre darauf eine angemessene Reaktion des DFB gewesen?
Dass man erst einmal abwartet, was bei einer genauen Untersuchung rauskommt. Es scheint ja nun so zu sein, dass von insgesamt 25 000 Zuschauern auf der Südtribüne 500 die Plakataktion mitgetragen haben, gewaltbereit sind und die Ausschreitungen vom Zaun gebrochen haben. Die anderen 24 500 Fans sind von den Hassaktionen ganz offensichtlich auch überrascht worden. Es ist bekannt, dass die Fans des BVB keine Lämmer sind. Der Club hat aber teilweise große Anstrengungen unternommen, gewaltbereite Leute loszuwerden. Da sollte der DFB jetzt mithelfen, um die Grenze zu den friedlichen Anhängern zu vertiefen.
Es wird ja gehofft, dass nach der Tribünensperre die vernünftigen Fans den gewaltbereiten künftig sagen werden, sie sollen sich gefälligst anständig benehmen.
Natürlich werden sie das sagen, aber das dürfte die Hooligans leider nicht besonders beeindrucken.
Tragen Ihrer Meinung nach die Dortmunder Verantwortlichen eine Teilschuld an den Entgleisungen rund um das Spiel gegen Leipzig?
Es sind ja unmittelbar vor dem Spiel Äußerungen des BVB-Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke in den Medien aufgetaucht, die lassen sich nicht verharmlosen.
Er hat sich in einem Smalltalk abfällig über Leipzig geäußert.
Vor einem wichtigen Spiel gibt es keinen Smalltalk. Das war ein Fanal und kann als indirekte Anstiftung gewertet werden. Er hat weitergemacht, womit Uli Hoeneß begonnen hat, als er die Leipziger zu Feinden erklärte. Natürlich kann man es aus Dortmunder Sicht als Beleidigung sehen, was in Leipzig innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft wurde. Auf der anderen Seite muss man doch auch die gute Arbeit anerkennen, die dahintersteckt.
Die Geschehnisse in Dortmund fallen überraschenderweise in eine Zeit, in der Umfragen besagen, dass RB Leipzig immer beliebter wird.
Da überraschen mich mehr die Umfragewerte. Es ist ja nun wirklich nicht so, dass die Leipziger in anderen Stadien mit offenen Armen empfangen werden.
Weil die tonangebenden Ultras Retortenclubs kategorisch ablehnen?
Bei den Ultras muss man auch differenzieren. Das ist eine heterogene Szene. Es gibt die friedlichen und die gewaltbereiten. Das einzige, was sie eint, ist das große Engagement für ihren Club. Und der weiß natürlich auch: ohne die Ultras herrscht im Stadion keine Atmosphäre. Es gibt ja Leute, die kommen weniger wegen des Spiels nach Dortmund. Die wollen vor allem einmal die legendäre gelbe Wand erleben. Das ist einer der Mythen des modernen Fußballs. Und der Fußball lebt von Mythen.
Viele Ultras sehen sich als Wahrer der Fußballtradition. Da wollen 18-Jährige einen Verein wie vor 100 Jahren. Haben Sie dafür Verständnis?
Nein, wofür ich aber Verständnis habe, ist der Wunsch der Fans, dabei mitzureden, wem der Fußball gehört. Natürlich auch ihnen. Und dafür setzen sie sich ein. Die Fans wollen gehört werden, ein Mitspracherecht bei Entscheidungen haben. Die Ultras verweisen dabei nicht zu Unrecht drauf, dass sie den Club bedingungslos unterstützen und deshalb wichtig für den Verein sind. Im Gegenzug wollen sie gehört werden, wenn es zum Beispiel um Anstoßzeiten und um Ticketpreise geht, aber auch ganz allgemein um Vereinspolitik. Die Ultras sehen doch die Entwicklung in England, wo die Ticketpreise enorm gestiegen sind und daraus ein ganz neues Publikum erwachsen ist.
Dieses Publikum hat dann auch kein Problem mehr , wenn ihr Club von einem Tag auf den anderen einem chinesischen Investor zugeschlagen wird.
Die Briten – und das gilt für alle Bereiche – haben wenig Angst vor Kapitalismus. In England wäre deshalb auch das deutsche Fußballmodell mit einem Verband, der gleichzeitig für Amateur-, Jugend-, Frauen- und Profifußball zuständig ist, undenkbar. Die Engländer denken da professioneller und mehr in die Zukunft gerichtet. In Deutschland haben wir auch im Fußball ein Modernisierungsdefizit. Auf der anderen Seite ist es natürlich eine gefährliche Sache, wenn man von einem einzigen Investor abhängig ist. Wenn der die Lust verliert oder pleite geht, ist der Club am Ende. Die Angst bei den Fans davor ist verständlich. Die Traditionalisten haben also auch gute Argumente.
Sie selbst bringen sowohl für die Erneuerer als auch für die Bewahrer des Fußballs Verständnis auf?
Absolut, aber dummerweise sind beide Seiten nicht kompatibel. Es besteht natürlich die Gefahr, dass das vollprofessionelle englische Modell dem halbtraditionellen deutschen irgendwann gnadenlos das Wasser abgräbt. Trotzdem kann ich mich nicht zwischen beide entscheiden.
Unter die Ultras mischen sich in Dortmund auch rechtsradikale Hooligans der Gruppierung „0231 Riot“. Droht von dieser Seite auch in anderen Stadien wieder Gefahr?
Köln hat dieses Problem ebenfalls. Es braut sich aber auch in anderen Clubs etwas zusammen. Es kommt jetzt darauf an, wie reagiert wird. In Dortmund klappt das teilweise, wenn schon auf der Autobahn Hooligans aus dem Verkehr gezogen werden. Das sind ja für die Polizei keine Unbekannten, die da im Vorfeld eines Spiels gestoppt werden. Hier funktioniert übrigens die Zusammenarbeit mit friedlichen Fans, die entsprechende Informationen an die Polizei weitergeben. Das ist der richtige Weg, der da beschritten wird. Das Problem sind aber nicht nur die gewaltbereiten Rechten.
Wer noch?
Rechtsradikale Gruppe rekrutieren zunehmend in den Stadien ihren Nachwuchs. Da mischen sich dann smarte Typen unter die jungen Fans, sprechen sie an und sagen, dass sie doch einfach mal vorbeischauen sollen und locker in einer Gruppe von Fußballfans mitdiskutieren können. Diese Methode ist offenbar ziemlich erfolgreich, wie ich aus Fanforscherkreisen gehört habe.