Der baden-württembergische Beamtenbund kritisiert, dass die Besoldung der Staatsdiener „an der Verfassungsmäßigkeit vorbeischrammt“ und fordert Korrekturen. Neue Munition bietet ihm ein wissenschaftliches Gutachten.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Zur Verfassungsklage gibt der Befund über die baden-württembergische Beamtenbesoldung zwar noch nicht Anlass – trotzdem sieht der Beamtenbund nach diversen Sparrunden speziell in der grün-roten Regierungszeit konkreten Handlungsbedarf. Die entsprechende Vorlage bietet ihm ein umfangreiches Gutachten. Nun wird die grün-schwarze Landesregierung zu Korrekturen aufgefordert.

 

Auslöser des Vorstoßes sind Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts von 2015. Karlsruhe hatte für die Ermittlung der noch zulässigen Besoldungsuntergrenze erstmals mehrere Prüfstufen sowie fünf volkswirtschaftliche Parameter genannt. Allerdings gab es keine vergleichbaren Daten für die realen Einkommen von Beamten und Tarifkräften. Diese hat nun Gisela Färber, Lehrstuhlinhaberin an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, erstellt.

Drei von fünf Karlsruher Merkmalen verletzt

Sie habe versucht, den „Pudding“ mit Kriterien „an die Wand zu nageln“, sagte sie. Dazu seien die Jahresbruttobezüge inklusive Familienzuschlag, Sonderzahlung und Stellenzulage über gut 20 Jahre ausgewertet worden. „Aus ökonomischer Sicht“, so betonte Färber, habe sie die Problemzonen definiert. Dies sage nichts über eine verfassungsrechtliche Würdigung aus, die noch überprüft werden müsse. „Es kommt aber nicht auf die Klagedimension an, sondern auf die Frage, wie man eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden kann.“

Dem Gutachten zufolge verletzt die Beamtenbesoldung die Indikatoren einer „amtsangemessenen Alimentierung“ in drei der fünf Karlsruher Merkmale – wobei es wohl keinen Beamten gibt, bei dem alle drei Merkmale gleichermaßen zutreffen. Erstens sind die Tarifentgelte im öffentlichen Dienst stärker gestiegen als die Beamtenbezüge. Deren Rückstand addiert sich etwa in der Besoldungsgruppe A10 unter Einbeziehung der unterschiedlichen Lebenseinkommensentwicklung auf bis zu 24 Prozent. Bei Besserverdienern sind die Unterschiede geringer. Zweitens weicht die Besoldung in höheren Einkommensgruppen – wie Lehrern – deutlich von der Entwicklung des Nominallohnindexes ab.

Berufsanfänger unter der Sozialschwelle

Drittens gilt für Großstädte: Das Abstandsgebot zur Sozialschwelle von 115 Prozent des Existenzminimums wird speziell bei Beschäftigten verletzt, die von 2013 an verbeamtet wurden. Dies wird im Kern auf reduzierte Beihilfesätze zurückgeführt. Mit wachsenden Lebenshaltungskosten in den Zentren steigt das Existenzminimum, zugleich fallen mehr Beschäftigte – vor allem Berufsanfänger – unter die Sozialschwelle. Das trifft bisher am ehesten in Stuttgart zu, doch auch in Karlsruhe, Mannheim, Freiburg, Heidelberg und Konstanz liegen Angehörige der Besoldungsstufen A5 und A6 (laut Beispielrechnung mit zwei Kindern) bei Nettoeinkommen von unter 27 700 Euro unter dieser Schwelle. Gemeint sind etwa Justizwachtmeister im Gericht, Einsteiger in der Finanzverwaltung und die allgemeine Verwaltung im mittleren Dienst. Günstiger sieht es noch in Ulm aus, doch wachsen die Wohnkosten überall im Südwesten weiter. Bei der noch von Grün-Rot für junge Beamte abgesenkten Beihilfe sieht Volker Stich, der Landeschef des Beamtenbunds, den dringendsten Korrekturbedarf. „Dies wird der nächste Schritt sein.“ Danach müsse man die Besoldungsstrukturen anschauen. Ob eine „kleine Dienstrechtsreform“ der geeignete Weg sei, wage er nicht vorherzusagen. Stich setzt ganz auf den mittlerweile guten Dialog mit der Regierung – und schließt dabei Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein, der die Lage heute wohl anders sehe als noch vor sechs Jahren.

Ballungsraumzulage ist umstritten

Angesichts der Kritik überrascht es, dass Baden-Württemberg mit seiner Besoldung bundesweit immerhin an dritter Stelle liegt. Bei Berücksichtigung der höheren Wochenarbeitszeit sowie der Kaufkraft falle das Land aber ins hintere Drittel zurück, wendet Stich ein. Er selbst wäre sogar für eine Ballungsraumzulage, um auch Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten in Baden-Württemberg auszugleichen. Doch seine Organisation ist dagegen. So überlässt Stich dies dem Landesbund-Vize Kai Rosenberger. Der Steuergewerkschafter soll am 5. Dezember in Ludwigsburg zu seinem Nachfolger gewählt werden.