Zwei Personenstromanalysen haben die Bewegungsfreiheit der Fahrgäste im noch zu bauenden neuen Stuttgarter Tiefbahnhof bewertet. Über die Ergebnisse lässt sich jedoch trefflich streiten.

Stuttgart - Bei einer Personenstromanalyse geht es nicht um Fluchtszenarien oder um kürzere Wege. Sie dient vielmehr dazu, die Bewegungsfreiheit des Fußgängerverkehrs an Engstellen zu ermitteln. Herrscht also auf den Bahnsteigen von S 21 einmal drangvolle Enge wie in der Tokioter U-Bahn oder wird man sich frei bewegen können?

 

Das Projekt steht in den Spitzenstunden vor zwei Herausforderungen: Die auf zehn Meter Breite ausgelegten Doppelbahnsteige verschmälern sich auf Höhe der Treppenanlagen und Fluchttreppenhäuser auf zwei bis drei Meter. Außerdem drohen morgens und abends Staus und Kollisionsgefahr mit wartenden Reisenden, weil alle Umsteiger auf der Bahnsteigebene – also dem kürzesten Weg – zum Abgang in die S-Bahn-Station eilen werden.

In der Benzstraße in Untertürkheim, im Fasanenhof, in der Stadtmitte am Wagenburgtunnel: Die Baustellen für Stuttgart 21 verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet. In einer interaktiven Grafik geben wir Ihnen einen Überblick über den Stand der Bauarbeiten in Stuttgart. Klicken Sie auf die Grafik, um zu der interaktiven Baustellen-Übersicht zu gelangen!


Ein von der Bahn 2009 beim Büro Durth-Roos in Auftrag gegebenes Gutachten war von projektkritischen Experten als fehlerhaft bezeichnet worden. Zudem wurde es als „Nachweis einer Reduzierung der Leistungsfähigkeit“ gegenüber dem Kopfbahnhof gesehen. Eine kürzlich fertig gestellte Untersuchung der Firma PTV im Auftrag des Landesverkehrsministeriums sollte die erste Analyse auf ihre Plausibilität hin prüfen und zudem die Frage klären, wie eigentlich der heutige (nicht modernisierte) Kopfbahnhof in Sachen Komfort für den Fahrgast im Vergleich zu S 21 abschneiden würde. Ein eindeutiges, über alle Zweifel erhabenes Ergebnis gibt es aber auch nach dem zweiten Versuch nicht, unter anderem weil die Fluchttreppenhäuser, die den Personenstrom nachhaltig beeinflussen, in keiner der Expertisen berücksichtigt sind. Die Pläne dafür sind noch nicht fertig.

PTV hat keine „grundsätzlichen handwerklichen Fehler“ in der Methodik festgestellt und auch die Annahmen der Kollegen zur Verkehrsprognose für realistisch erachtet. Das überrascht nicht, denn die Gutachter hatten in ihrer Untersuchung dieselben Prämissen der Bahn zugrunde gelegt. Sie kommen auch zu dem Schluss, die 2009 angewandte Analysetechnik habe dem Stand der Technik entsprochen. Die von Durth-Roos eingesetzte Software war aber eher geeignet, großräumige Verkehrsflüsse zu simulieren als Personenströme. Das führte etwa dazu, dass im Versuch virtuelle Fahrgäste bereits einem kleinen Stau vor einer Rolltreppe durch einen über 100 Meter langen Umweg über die darüber liegende Ebene auswichen. Da das Tool von PTV stammte, hat sich der Kontrolleur in diesem Fall selbst begutachtet.

Kritik an zu positiven Ausgangsparametern

Außerdem war die Kritik von Bahnexperten wie Christoph Engelhardt von der Plattform Wikireal am ersten Gutachten, welche die Nachprüfung ausgelöst hatte, gar nicht gegen die Methodik gerichtet. Vielmehr seien die Ausgangsparameter zu positiv. Diese hätten das Ergebnis stark beeinflusst: nur 32 statt der im Stresstest geforderten 49 Züge in der Spitzenstunde, den Verzicht auf Doppelbelegungen und eine Erhöhung der Bahnsteigräumzeit von 2,5 auf unrealistische – so die Kritik – vier Minuten. Und obwohl man die Kapazitäten zu Gunsten des Tiefbahnhofs verändert habe, seien an fast 60 von insgesamt 189 Engstellen nur die drittschlechteste Note D und drei Mal sogar nur die Note E erreicht worden.

Über die Bewegungsqualität im neuen Durchgangsbahnhof sagt der Gutachter PTV, sie würde wohl geringer sein als im heutigen Kopfbahnhof – setze man ein drastisch steigendes Verkehrsaufkommen voraus. Unter Ansatz gleicher Verkehrsmengen sei der Tiefbahnhof aber komfortabler als der heutige. Das Ministerium hält den „Vergleich je Bahnsteig“ nicht für sinnvoll, da im achtgleisigen Tiefbahnhof natürlich öfter zwei Züge an einem Bahnsteig hielten und dort für drangvolle Enge sorgten als im doppelt so großen Kopfbahnhof – der zudem anderthalb Mal so viel Bahnsteigfläche aufweist.