Hat sich der Gutachter der Justiz zum EnBW-Deal um eine Milliarde Euro verrechnet? Von dieser Kritik ist inzwischen nicht mehr viel übrig geblieben. Der Kritiker irrte wohl selbst.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es schien ein schöner Befreiungsschlag zu sein für Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und seinen Bankerfreund Dirk Notheis (beide CDU). Ende vorigen Jahres waren sie durch ein Gutachten für die Staatsanwaltschaft Stuttgart ziemlich in Bedrängnis geraten: Fast 800 Millionen Euro, konstatierte darin der Münchner Professor Wolfgang Ballwieser, habe das Land beim EnBW-Deal zu viel bezahlt. Für die laufenden Untreue-Ermittlungen verhieß das nichts Gutes.

 

Doch zu Jahresbeginn konterte Notheis mit einem vermeintlichen Paukenschlag. Die belastende Expertise hatte er von einem anderen Professor, Henner Schierenbeck aus Basel, überprüfen lassen. Dessen Ergebnis wirkte spektakulär: Wegen eines schweren „Rechenfehlers“ habe Ballwieser den Wert der EnBW um eine Milliarde Euro zu niedrig beziffert. Förderbeiträge für das Kernkraftwerk Philippsburg seien an einer Stelle schlicht vergessen worden. So jedenfalls stand es in Berichten von Medien, denen das „Gegengutachten“ zugespielt worden war. Eine eigentlich angesehene Wochenzeitung strickte daraus sogar die Geschichte, in Baden-Württemberg gebe es womöglich eine Verschwörung der grün-roten Regierung und der Justiz gegen Mappus. Der Ex-Regent solle offenbar zum Sündenbock gemacht werden.

Kritiker begeht selbst peinlichen Fehler

Nach der Vernehmung Ballwiesers und Schierenbecks am Freitagabend im EnBW-Ausschuss ist von der Gegenoffensive nicht mehr viel übrig. Dem Kritiker scheint selbst ein höchst peinlicher Fehler unterlaufen zu sein, seine Kritik – jedenfalls in diesem zentralen Punkt – relativierte er massiv. Kenner der Materie hatten sich ohnehin gewundert, dass in Berichten über Schierenbecks Gutachten von einem Förderbeitrag „für“ das Kernkraftwerk Philippsburg die Rede war – gerade so, als flöße der EnBW dafür Geld zu. Tatsächlich geht es um Beiträge für einen Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien, die die Betreiber entrichten müssen. Da sei seinem Kollegen „ein beachtlicher Deutungsfehler“ unterlaufen, folgerte Ballwieser nüchtern; dieser habe fortgesetzt mit falschen Vorzeichen gearbeitet.

Entsprechend kleinlaut klang Schierenbeck denn auch, als er im Ausschuss auf diesen Punkt angesprochen wurde. Vom Rechenfehler sei keine Rede mehr gewesen, erkundigte sich ein CDU-Mann, oder habe er das überhört? Ballwieser habe sehr wohl etwas bei den Atommeilern übersehen, aber das sei beim Ergebnis „nicht so wahnsinnig entscheidend“, entgegnete der Professor und unterstrich noch einmal: „Streitentscheidend ist es nicht.“ Er selbst habe auch nie von der ominösen Milliarde gesprochen: „Ich weiß nicht, wo die Zeitung das her hat.“ Dass sein Gutachten im Zusammenhang mit einem Strafverfahren stehe, will Schierenbeck zunächst nicht gewusst haben: Notheis’ Verteidiger habe ihm gesagt, dieser wolle seine Ehefrau beruhigen. Sie habe die Sorge, dass ihr Mann „in was reingezogen“ werde, und solle „wieder ruhig schlafen“ können.

„Von Milliarde zur Petitesse geschrumpft“

Prompt spottete der Grünen-Obmann Ulrich Sckerl, das „Beruhigungsgutachten“ müsse man auch entsprechend einordnen. Der milliardenschwere Rechenfehler, sekundierte sein SPD-Kollege Sascha Binder, sei zur „Petitesse“ geschrumpft und „nur noch Schall und Rauch“. Er sei „maßlos enttäuscht“ von Schierenbeck. Der CDU-Obmann Alexander Throm zeigte sich umgekehrt „mehr als enttäuscht“ von Ballwieser: der habe teilweise „oberflächlich“ und auf fragwürdiger Grundlage gearbeitet.

Zu allen Vorwürfen will sich der Professor nun in einer zweiten Stellungnahme für die Staatsanwaltschaft äußern. Diese, bemerkte er beiläufig, werde „bald umfangreicher als das Gutachten“ selbst.