Seit sieben Jahren umsorgt Sonja Noppinger ihre Gäste im Fischlabor im Stuttgarter Westen. Manche Gäste und manche Geschichten sind ihr in dieser Zeit besonders im Gedächtnis geblieben.

Stuttgart - Die schönsten Träume sind immer noch die, die man sich selbst erfüllt. So wie der von Sonja Noppinger: Viele Jahre träumte die quirlige Dame von einem eigenen Laden, einer gemütlichen, authentischen Kneipe, in der sich jeder wohlfühlte. Irgendwann wurde aus dem Traum eine konkrete Mission – und doch mussten erst mal zwei mühsame Jahre der intensiven Suche nach einem geeigneten Objekt vergehen, bis sie endlich die Schlüssel zu ihrem eigenen Laden in der Hand hielt.

 

Das war Ende 2011. Mittlerweile sind sieben Jahre vergangen – und ihr Fischlabor erfreut sich bester Gesundheit. Mal abgesehen von ein wenig Verwirrung, die der durchaus irreführende Name verbreitete, mauserte sich Noppingers Stadtteilkneipe vom Neuling schnell zum Fixstern der westlichen Feierabendbierkultur. „Wir haben mittlerweile so viele Stammgäste, dass wir sie einmal im Jahr einen eigenen Abend gestalten lassen“, meint sie zufrieden. Nach dem schönen Vorbild eines urenglischen Pubs kommt bei Sonja Noppinger alles zusammen, was Lust auf eine gemütliche, gepflegte Kneipe, ein gutes Bier und eine solide Küche hat. „Mir schwebte von Anfang an eine Art Wohnzimmer vor“, erinnert sie sich. „Deshalb haben wir auch bewusst viele große Tische. Die Leute sollen sich zu anderen an den Tisch setzen.“

Nach langen Jahren als treue Seele im Oblomow, die sie rückblickend als „sehr wirkungsvolle Schule“ bezeichnet, den Gang in die Selbstständigkeit zu wagen, ist natürlich kein Pappenstiel. Zumal der Vorgängerladen, das eher wenig einladende Ludwigsstüble, nur mit sehr viel Fantasie das Potential erkennen ließ, das Noppinger aus den Räumlichkeiten herausgekitzelt hat: Spielautomaten, lieblose Einrichtung, das klassische Bild eben. „Wir haben uns den Laden angesehen und sofort gesehen, was wir daraus machen können.“ Das, meint sie, war ihr großes Glück, ihre Entscheidunsgsfreudigkeit gegenüber des alten Pächters war vielleicht das Zünglein an der Waage. „Viel zu tun hatten wir dennoch, bis wir eröffnen konnten.“

Als waschechtes Kind des Westens war es für Sonja Noppinger Ehrensache, hier auch ihre Kneipe zu eröffnen. „Hier kenne ich jeden Stein“, meint sie verzückt. Auch wenn sie mittlerweile in Heslach wohnt: Ihr Herz schlägt für ihr altes Quartier, für die Gastronomie und die Bewohner dort. Im Sutsche sei sie oft, im Moulu, im Mertens. Am liebsten natürlich in ihrem eigenen Laden. Jeden Tag steht sie hier, jeden Tag freut sie sich auf die Arbeit. Mittlerweile blickt sie auf sieben erfolgreiche Jahre zurück. Ob sie etwas anders machen würde? Ihre Augen leuchten. „Nein“, sagt sie ohne zu zögern. Und blickt mit uns auf besonders denkwürdige Momente zurück.

Hausverbot mal anders

Kurz nach der Eröffnung des Fischlabors vor rund sieben Jahren haben sich hier zwei Familien mit kleinen Kindern kennengelernt. Die Eltern fanden sich sofort sympathisch und haben sich angefreundet, bis heute besuchen sie regelmäßig unser Lokal. Schon als sie laufen lernten, waren ihre Kinder Stammgäste bei uns, unser Team begleitet sie bis heute beim größer werden und spielt auch schon mal mit dem Nachwuchs. Vor einiger Zeit fiel einer der Kleinen allerdings aus dem Rahmen: Er war so außer Rand und Band, dass wir uns zu einer drastischen erzieherischen Maßnahme gezwungen sahen: Der Junge erhielt eine Woche Hausverbot! Doch er erkannte den Ernst der Lage und hielt wacker durch…

Langfinger mit Bühnentalent

Der Laden war gerade geöffnet, da ließ sich an einem warmen Sommertag schwer atmend ein Mann auf einem Stuhl im Außenbereich an der Ludwigsstraße nieder. Er klagte über Herz-Kreislaufbeschwerden und bat um ein Glas Leitungswasser. Einer der Mitarbeiter eilte sofort in die Küche und überlegte währenddessen fieberhaft, was er sonst noch für den Armen tun könnte. Als er Sekunden später wieder nach draußen kam, sah er jedoch zu seiner Überraschung den Mann schon um die nächste Straßenecke biegen. Von seiner „Schwäche“ war nichts mehr zu spüren, dafür hatte er sich einen unserer gläsernen Aschenbecher gemopst, der vorher auf dem Tisch stand. Auf den hatte er es offenbar abgesehen und diese kleine Theaterszene zum Tausch für die Trophäe improvisiert.

Wo ist jetzt der Fisch?

Ziemlich zu Beginn unserer Fischlabor-Zeiten kam mal eine Familie, chinesische Touristen, zu uns, komplett mit Oma, Opa, Eltern und Kindern. Keiner von ihnen konnte deutsch oder englisch, doch sie hatten mitgedacht und zogen ein Büchlein aus der Tasche, in dem lauter Abbildungen von Fischgerichten zu sehen waren. Lebhaft gestikulierend zeigten sie auf verschiedene Bilder und wollten ihre Bestellung aufgeben, weil sie dachten sie befänden sich in einem Fischrestaurant. Mit viel Fantasie mussten wir ihnen klarmachen, dass Fisch zwar in unserem Namen, aber nicht in der Küche vorkam. Das kümmerte sie herzlich wenig, sie bestellten sich trotzdem kreuz und quer durch unsere Speisekarte und waren auch so bald schon sehr zufrieden.

Feierliche Ausnahme

Vor dem Fischlabor arbeitete ich im Oblomow. Dort lernten sich zu jener Zeit ein Mann und eine Frau kennen. Die zu nächtlicher Stunde gesponnenen zarten Bande hielten, denn gleich zu Anfang des Fischlabors kamen die beiden und fragten, ob sie nicht ihre Hochzeit bei uns feiern könnten. Obwohl ich das Lokal normalerweise nicht für private Anlässe zur Verfügung stelle, freute ich mich so sehr über das Glück der Verliebten, dass ich eine Ausnahme machte. Seitdem begeht das Paar ihren Hochzeitstag in trauter Zweisamkeit im Fischlabor.

Königsmantel

Zu später Stunde saß ein Mann an der Bar. Er hatte schon einige Bier intus, was seinem Genuss eines weiteren frisch gezapften Trunks aber sichtbar keinen Abbruch tat. Irgendwann musste er einen Teil der Flüssigkeit wieder loswerden. Schwankend, aber erfolgreich erklomm er die beiden Stufen auf dem Weg zur Toilette. Als er wieder zurückkam, klappte das allerdings nicht mehr so gut. Er stolperte, griff hilfesuchend nach links und rechts, erwischte den beidseits hängenden Vorhang und riss ihn hinunter. Der schwere rote Samt fiel wie ein Umhang um den Mann und hüllte ihn ein. Ansonsten war ihm nichts passiert. Der Mann tappte gelassen zurück an seinen Platz, setze sich wieder auf den Barhocker. Dort thronte er dann wie König Ludwig persönlich – mit dem um seine Schultern drapierten Stoff und der – zugegeben – etwas sperrigen Vorhangsstange, die seinen Nacken zierte.