Seit bald 20 Jahren dreht JensOMatic die Platten in den Stuttgarter Clubs. Ein Leben ohne Vinyl? Für ihn möglich, aber absolut sinnlos. Und außerdem relativ arm an unvergesslichen Anekdoten, die er uns für die Gute-Nacht-Geschichte verraten hat.

Stuttgart - Dürfen wir vorstellen: Der Mann der tausend Pseudonyme. Sagt Jens Rank zumindest selbst von sich. Der langjährige WG-Partner von Michael Setzer ist ein ganz ähnliches Stuttgarter Subkultur-Urgestein, eines Tages wird vielleicht mal eine Plakette an ihrer Behausung im Süden prangen. Wenn sie vorher nicht einstürzt, immerhin teilen sich beide nicht nur Wohnung und Kühlschrank, sondern auch eine nicht zu unterschätzende Vinyl-Manie, die ganze Zimmer füllt. Als JensOMatic ist der Schnurrbartträger seit bald 20 Jahren im DJ-Business, war bei der Etablierung eines Retro-Sounds zwischen Soul, Swing, Garage und den Sixties in deutschen Clubs stark mitbeteiligt und legt bis heute ausschließlich mit Vinyl auf – weltweit, vor allem aber in seinem Club Miaow in der Rakete oder im Goldmark's, seinem zweiten Wohnzimmer. Nebenher macht er als Johnny Montezuma flotte Grafiken und Zeichnungen (zuletzt das Cover der neuen Los-Santos-Platte) und arbeitet doch tatsächlich auch noch als Requisiteur an der Stuttgarter Oper. Bis heute ist das DJing seine große Leidenschaft, von der er sich mitreißen lässt, stundenlang wühlt er sich Zuhause durch seine Plattenberge. Und erlebt hat er im Laufe der Jahre natürlich auch eine Menge:

 

 

Heiraten auf Rhodos

 

Eine meiner Top-3-Anekdoten widerfuhr mir voriges Jahr. Wir legten im Rhodos im Osten auf, einem durchaus, nun, interessanten Laden. Bei der Party bestand die eine Hälfte aus unseren Leuten, die andere Hälfe aus Stammgästen. Irgendwann torkelte einer der Stammgäste auf uns zu und verlangte nach einem Mikro, um etwas durchzusagen. Wir hatten keines, aber er ließ nicht locker und erzählte, dass er einer älteren Frau an der Theke jetzt unbedingt einen Heiratsantrag machen wollte. Wir dachten uns: das müssen wir durchgehen lassen! Bei der ersten Pause, die wir für ihn machten, tauchte er nicht auf, weil er sich nicht getraut hatte. Wir gewährten ihm sogar noch eine zweite Chance, die er dann auch nutzte, mit Schlagseite auf die Tanzfläche kam und seiner... nennen wir sie mal Angi einen lautstarken Antrag machte. Sie brüllte „Ja!“, alles jubelte – und mein DJ-Kollege Felix spielte als erstes Lied nach dem Ja-Wort ausgerechnet „Born To Lose“ von den Heartbreakers. Nach und nach kapierte der ganze Laden, was da für ein Lied lief, aber die beiden schwoften glücklich vereint über die Tanzfläche. Das Glück hielt allerdings nicht lang: Keine Stunde später machte sie mit einem anderen Typen auf dem Parkplatz rum.

 

Tanzbefehl

 

Mittlerweile lege ich nur noch mit Singles auf. Als ich einmal drei Kilometer mit meinem Rucksack und zwei LP-Koffern quer durch Manhattan gehetzt bin, habe ich geschworen, das so nie wieder zu tun. Obwohl ja die wenigsten heutzutage noch was mit Vinyl anfangen können – die Liebhaber mal ausgenommen, versteht sich. Als ich mal im Four Runners Club in Ludwigsburg aufgelegt hatte, hatte ich die ganze Zeit den ungläubigen Azubi des Lichtmanns neben mir, der noch nie in seinem Leben eine Vinyl-Single gesehen hatte. Dabei war er sogar selbst DJ, wie er erzählte. Als er dann noch wissen wollte, was der runde Single-Puck ist, den man ja braucht, um Singles auf normalen Plattenspielern abzuspielen, konnte ich mir nicht verkneifen, ihm zu sagen, das sei eine Hupe, damit die Leute wissen, wann sie tanzen sollen.

 

Im Kerzenschein

 

Bei meinem allerersten Club-Gig in Stuttgart irgendwo auf der Theo trat der DJ, der vor mir aufgelegt hatte, das Licht versehentlich kaputt. Kurz darauf war ich dran – und musste mit Kerzenschein auflegen! Ich denke, es braucht entsprechend viel, um mich heute zur Verzweiflung zu treiben!

 

Metalkutte

 

Und wo wir gerade bei Verzweiflung sind: So nah dran am Nervenzusammenbruch wie einmal im Stereo Total in Heilbronn war ich noch nie. Ich hatte in dem Laden schon häufig aufgelegt und immer ein Programm zwischen Punk, Rock und Sixties dabei, was bisher auch gut funktionierte. Eines Samstags war ich dort mal wieder gebucht, fing um 21 Uhr mit meinem Set an – und wunderte mich, dass die erste Gäste richtig krasse Heavy-Metal-Typen waren. Als es immer mehr davon wurden und der ganze Laden irgendwann knallvoll war und nur aus diesen Leuten bestand, begann ich, mich durchaus zu wundern, weil die Gästemischung sonst eigentlich immer sehr bunt gewesen war. Natürlich wünschten sich die Gäste Zeug von Bands, von denen ich im Leben noch nie was gehört hatte, und wurden im Gegenzug immer missmutiger, weil ich nichts davon spielen konnte. Irgendwann stellte sich heraus, dass kurz zuvor ein Artikel in einer Zeitung erschien, der den Laden als letzte Metal-Bastion Baden-Württembergs angepriesen hatte. Aus einem Umkreis von 200 Kilometern waren an diesem Abend also Metal-Fans nach Heilbronn gepilgert, wo ich dann mit meiner Kiste Punkrock stand. Irgendwann warf ich tatsächlich das Handtuch – das einzige Mal, wohlgemerkt!

 

Tränen in den Augen alter Argentinier

 

Im Schocken spielte ich mal „Last Kiss“ von Franz Wilson, eine langsame und schmusige Nummer aus den späten Fünfzigern, die einen sehr dramatischen Text hat. Ein Mädchen kam auf das DJ-Pult zu, und ich war mir schon sicher, dass sie mich als nächstes fragt, ob ich auch mal Black oder House spielen kann. Ich tat ihr allerdings großes Unrecht, denn sie erzählte mir, dass sie ein Jahr in Argentinien gelebt hatte und dass diese Nummer dort oft auf Feiern lief. Die Tanzfläche wäre immer sofort voll gewesen und alte Männer hätten regelmäßig geweint. Empathiegesteuert wie ich bin, hat mich das komplett mitgerissen. Diese Momente sind unbezahlbar und der Grund dafür, warum ich das mache. Ich wusste: Wenn sie nach Hause geht, hat sie zumindest diesen einen Glücksmoment am Abend gehabt.

 

Twerk, Baby, twerk!

 

Immer wenn ich im Goldmark's auf der Terrasse auflege, habe ich das schöne Gefühl, ich beschalle die gesamte Stadt. Ein besonders tolles Erlebnis ereignete sich, als ich meinen Club Miaow vor zwei Jahren von der Rakete zur alljährlichen Open-Air-Sause ins Goldmark's holte. Dieser Abend fiel zufällig mit den Hip-Hop-Open zusammen. Es war sehr voll, die Stimmung war perfekt, doch irgendwann merkte ich, dass alle nach oben zur Brücke über der Unterführung starrten. Da muss eine ganze Wagenladung Festivalbesucher gerade in die Stadt gekommen sein, denn es twerkten sich locker 15 hübsche Girls in knappen Hotpants einen ab. Durchaus sehenswert.