Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, kritisiert im StZ-Interview das Verhalten der europäischen Führer in der Flüchtlingskrise. Er glaubt, dass diese nur bewältigt werden kann, wenn Brüssel mehr Kompetenzen bekommt.

Stuttgart – - Nicht die Rückkehr zum Nationalismus, sondern einen „großen Sprung nach vorn“ fordert Guy Verhofstadt. Der frühere belgische Ministerpräsident glaubt, dass die Brexit-Debatte dabei hilfreich ist.

 
Herr Verhofstadt, in den letzten Wochen hatte man oft das Gefühl, es wird auf der europäischen Bühne einsam um Angela Merkel. Wie viele Verbündete hat sie im Moment in Brüssel für ihre Flüchtlingspolitik?
Das Problem mit Angela Merkel war nicht, dass sie gesagt hat „Wir schaffen das!“, sondern dass sie wie die anderen Regierungschefs nicht nach einer echten gesamteuropäischen Lösung gesucht hat. „Wir schaffen das als Europäer gemeinsam“ hätte es heißen müssen – das haben wir nicht gehört.
Aber Merkel spricht doch immer davon, dass nur eine europäische Lösung helfe und sie zeigt sich überzeugt, dass der Gipfel mit der Türkei genau einen solchen Weg aufzeigt.
Dieser Gipfel war nicht mehr als der Versuch, die Problemlösung an einen Dritten weiterzureichen – nämlich an Herrn Erdogan. Man legt das Entscheidungsrecht darüber, ob ein Flüchtling nach Europa kommen darf, in die Hände der Türkei. Das darf nicht sein. Die Türkei würde zum Beispiel nie einem Kurden aus dem Nordirak Asyl geben – da können wir nicht die Schlüssel zu unserem Asylrecht in deren Hände legen. Wenn die Staats- und Regierungschefs einen solchen Deal versuchen, wird er im Europäischen Parlament scheitern.