Grün-Rot will es in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ruhiger angehen lassen – und die Reformen wirken lassen, erklären Winfried Kretschmann und Nils Schmid bei ihrer Halbzeit-Tournee.

Stuttgart - Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei – Zeit für eine Zwischenbilanz, sagt die grün-rote Landesregierung, die in diesen Tagen quer durchs Land die Bürger zum Dialog einlädt. So auch am Dienstagabend im Stuttgarter Theaterhaus, wohin etwa 400 Interessierte gekommen waren, um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sowie Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) auf den Zahn zu fühlen. „Der Wandel kommt an“, lautet das selbstbewusste Motto der Regierungstour. Tatsächlich? Unter der Moderation von Joachim Dorfs und Christoph Reisinger, den Chefredakteuren von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, sollte diese Frage einer Antwort näher gebracht werden.

 

Die jüngste Umfrage von Stuttgarter Zeitung und SWR legt nahe, dass der Wandel keineswegs überall durchdringt. Auf 41 Prozent kommt Grün-Rot derzeit laut den Demoskopen von Infratest dimap, die CDU in Baden-Württemberg notiert hingegen 43 Prozent. Doch an der Landes-CDU liege das nicht, sagte Regierungschef Kretschmann. „Die ist nur quantitativ gestärkt.“ Er sehe im Landtag eine „Mäkel-Opposition“, die „verzweifelte Gesichter“ zeige und der es an Konzepten fehle. Woher dann aber die Stärke der CDU? „Angela Merkel“, erwiderte Kretschmann lapidar. Nils Schmid räumte ein, dass die Koalition am Midterm-Blues leide. Und dass es Baustellen gebe: gar keine Frage. Zum Beispiel die Bildungspolitik. „Wir haben da viel angepackt, vielleicht zu viel, aber wir konnten ja nicht erst am Ende der Legislaturperiode mit dem Regieren beginnen“, sagte Schmid. Nun gehe es um die Konsolidierung des Erreichten. „Wir treiben mit ruhiger Hand die Umsetzung der Reformen voran.“ Dass etwas geschehen musste, daran lässt der SPD-Politiker keinen Zweifel, belegten doch alle Studien die soziale Ungerechtigkeit des baden-württembergischen Schulsystems.

Schnell war die Runde bei der Kürzung der 11 600 Lehrerstellen. „Das erweckt den Eindruck, als würde massiv gespart in den Schulen, ist aber nicht so“, sagte Kretschmann. Der Rückgang der Schüler liege bei 20 Prozent, bei den Lehrern gehe man nur um zehn Prozent herunter. Bleibt es bei den 11 600? Das hänge davon, wie sich die Schülerzahlen tatsächlich entwickelten, sagte Schmid. Regierungschef Kretschmann gab zu erkennen, dass er die Kritik der Lehrerverbände für überzogen hält. Gerade erst habe der Berufsschullehrerverband per Pressemitteilung wissen lassen, die grün-rote Schulpolitik sei ganz furchtbar. „Dabei haben wir den Unterrichtsausfall halbiert.“ Aber immer werde gleich der Weltuntergang ausgerufen.

Ungeduld im Publikum

„Dass die Fieberkurve in allem so schnell über 42 Grad steigt, das besorgt mich schon“, fügte Kretschmann hinzu, als StZ-Chefredakteur Dorfs auf die von Grün-Rot propagierte Politik des Gehörtwerdens zu sprechen kam. Der im Schwarzwald geplante Nationalpark sei durch die Bürgerbeteiligung substanziell verändert worden, aber das interessiere die Gegner nicht. Kein Zweifel, Kretschmann ist angefressen über all die Interessen, die an ihm zerren. Aber den Weg der Bürgermitsprache eingeschlagen zu haben, das hält er für richtig und wichtig. Er verwies auf die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, deren Ergebnis nicht leicht zu schlucken gewesen sei für ihn. „Wir rackern uns ab für direkte Demokratie, und wenn man es dann zum ersten Mal macht, kriegen wir eins auf die Nase.“

Die Fragen aus dem Publikum zeugten von Ungeduld über das ausbleibende Informationsfreiheitsgesetz und die noch ausstehende Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Großeinsätzen. Und dann war dann noch der Vorwurf, der Ausbau der Windkraft gefährde den Artenschutz im Land. Falsch, erwiderte Kretschmann, der Naturliebhaber und Biologe. Der Bedarf für 1000 Windräder liege bei maximal 1000 Hektar. „Mir kann niemand erzählen, dass das die Biodiversität merklich beeinflusst.“ Kretschmann nannte es falsch, mit irgendeiner Gelbbauchunke „als letztem Rettungsanker“ wichtige Projekte wie den Klimaschutz zu bekämpfen. Dann müsse man auch über die Insekten reden, die „auf der Windschutzscheibe landen“.