Die fünf Kreisstädte in der Region wollen sich mit überschaubaren, gut erreichbaren und attraktiven Flaniermeilen gegen die Shoppingcenter der Landeshauptstadt behaupten.

Stuttgart - Die Region Stuttgart hat von vielem eine Menge. Jeder vierte Baden-Württemberger ist in Stuttgart und den fünf Nachbarkreisen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr zu Hause. Die 2,65 Millionen Menschen sind eine besonders kaufkräftige Kundschaft. Deshalb trifft es sich gut, dass man im Ballungsraum am Neckar an vielen Stellen Geld ausgeben kann.

 

Konkurrenzschutz gibt es keinen

Der Verband Region Stuttgart (VRS) definiert im Regionalplan für den Einzelhandel allein 15 sogenannte Mittelzentren: Böblingen, Herrenberg, Leonberg (Kreis Böblingen), Esslingen, Kirchheim/Teck, Nürtingen (Kreis Esslingen), Geislingen, Göppingen (Kreis Göppingen), Bietigheim-Bissingen, Ludwigsburg, Vaihingen/ Enz (Kreis Ludwigsburg) sowie Backnang, Fellbach, Schorndorf und Waiblingen (Rems-Murr). „Für Kunden ist das bequem. Sie haben gute Angebote in guter Erreichbarkeit“, sagt Thomas Kiwitt, der Chefplaner der Region. Der Verband will diese Vielfalt erhalten. Aber „wir betreiben keinen Konkurrenzschutz“. Auch Stuttgart müsse sich entwickeln dürfen, um gegen Einkaufsstädte wie Frankfurt bestehen zu können. Damit spielt Kiwitt auf neue Einkaufstempel wie das Milaneo oder das Gerber an oder an die Pläne von Breuninger für ein Dorotheenquartier. Verursacht Stuttgart also doch keine Kannibalisierung im Einzelhandel, wie sie Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger jüngst beklagt hat? „Esslingen hat eine der schönsten, wenn nicht die schönste Innenstadt der Region“, sagt Kiwitt. „Ich würde mir manchmal mehr Selbstbewusstsein wünschen.“

Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) haben die Einzelhändler in der Region 2013 knapp 14 Milliarden Euro Umsatz gemacht. 4,2 Milliarden Euro haben die Käufer in Stuttgart ausgegeben. Bei den Kreisen stand Ludwigsburg mit 2,4 Milliarden Euro Umsatz an der Spitze, der Kreis Göppingen bildete mit 1,3 Milliarden das Schlusslicht.

Buhlen um die Kaufkraft

Allerdings legt der Einzelhandelsumsatz pro Einwohner den Schluss nahe, dass es nur Stuttgart und die Kreise Göppingen und Böblingen schaffen, Kaufkraft von außerhalb anzuziehen. Die Umsatzindizes der Kreise Rems-Murr, Ludwigsburg und Esslingen liegen hingegen unter dem Bundesdurchschnitt, trotz überdurchschnittlich wohlhabender Bevölkerung. Dabei spielt auch das Internet eine Rolle. Im Verhältnis zum Nachfragepotenzial hätten die Händler in der Region im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Euro an Standorte außerhalb und an Onlinehändler verloren, warnt die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK).

Und die Städte wappnen sich für den sich verschärfenden Wettbewerb. Die Strategie: die Aufenthaltsqualität in den Citys steigern und mit innenstadtnahen, kleineren Einkaufszentren auch Platz für namhafte Filialisten zu schaffen, die Laufkundschaft anlocken und damit – so die Hoffnung – auch den alteingesessenen Fachhändlern zu mehr Profit verhelfen. Bezahlt mache sich vorausschauendes Handeln, sagt Martin Eisenmann, bei der IHK Referatsleiter Einzelhandel: Wer jetzt hinterherhinke, habe vor zehn Jahren den Anschluss verpasst.

Die Kommunen investieren

Vielerorts wurde kräftig investiert. So wurde in Waiblingen der Alte Postplatz überbaut und mit einem großen Einkaufszentrum 2008 ein neuer Anziehungspunkt geschaffen. Die Kaufleute in der Innenstadt waren skeptisch, sehen den Handelsplatz inzwischen aber als Gewinn: „Das Zentrum hilft uns“, sagt Peter Funcke, der Vorsitzende des Händlervereins Innenstadtmarketing. Nächstes Jahr soll eine gemeinsame Marketingstrategie auf den Weg gebracht werden. Impulse soll auch ein weiteres Center am Waiblinger Tor geben.

Die Stadt Böblingen hofft auf einen ähnlichen Effekt. Das 24 000 Quadratmeter große Einkaufszentrum Mercaden am Bahnhof ist im Oktober eröffnet worden. Es soll die Kundschaft zurückbringen, die man an das Breuningerland Sindelfingen verloren hat. Die Stadt hat etwa zehn Millionen Euro investiert, um das Entree am Bahnhof vom Verkehr zu befreien. Und noch ein Beispiel: in Ludwigsburg soll einem alten Einkaufszentrum neues Leben eingehaucht werden. Die ECE Projektmanagement GmbH & Co KG lässt sich das bis September nächsten Jahres 80 bis 90 Millionen Euro kosten. Die Stadt selbst investiert laut Rathauschef Werner Spec sechs Millionen Euro in das Umfeld des Marstallcenters. Zudem wird der Gemeinderat bald diskutieren, ob die ECE das Ludwigsburger Breuningerland erweitern darf.

Aus Fehlern lernen

Anders hingegen die Situation in Esslingen, wo große Ladenflächen Mangelware sind. Mehr als 70 Prozent der Geschäfte im mittelalterlichen Zentrum seien wegen des Denkmalschutzes kleiner als 100 Quadratmeter, sagt Manuela Deufel von der Esslinger Stadtmarketing und Tourismus GmbH. „Auf so kleiner Fläche profitabel zu agieren ist eine besondere Herausforderung.“ Die Stadt schützt deshalb ihre Kaufleute im Zentrum. Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche für zentrenrelevante Sortimente erhalten am Stadtrand keine Baugenehmigung. In den 70er Jahren fehlte dieser Schutz. Das Neckarcenter aus jener Zeit zieht der Innenstadt bis heute Kaufkraft ab. Platz für Filialisten gibt es in der Stadt seit zehn Jahren im ES; außerdem sollen auf dem Karstadt-Parkplatz zusätzlich 11 000 Quadratmeter Verkaufsfläche geschaffen werden.

Besonders gut gelingt es Göppingen, Geislingen, Sindelfingen und Fellbach, Kaufkraft zu binden. Dort erwirtschaften die Händler anderthalb mal so viel Umsatz wie es das örtliche Kundenpotenzial erwarten lässt. In Göppingen ist der Erfolg nicht nur der Entfernung zu Stuttgart geschuldet. Die Stadt hat sich komplett verändert. Der Verkehr wurde aus dem Zentrum verbannt und für 15 Millionen Euro wurde eine moderne Fußgängerzone geschaffen.