Brandanschläge, Farbschmierereien - seit Monaten häufen sich Anschläge gegen Flüchtlingsheime in ganz Deutschland. Mit einer Granate im Schwarzwald erreicht die Gewalt eine neue Qualität. Eine entscheidende Frage ist aber offen.

Villingen-Schwenningen - Mit einem Handgranatenanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im Schwarzwald hat die Gewalt gegen Zuwanderer in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Unbekannte warfen in der Nacht zum Freitag den Sprengsatz auf das Gelände der Unterkunft in Villingen-Schwenningen - unklar ist allerdings noch, ob die jugoslawische Granate vom Typ M52, eine Kriegswaffe, tatsächlich hätte explodieren können. Verletzt wurde niemand.

 

„Es steht fest, dass sie mit Sprengstoff gefüllt war“, sagte Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz. „Ob ein Zünder verbaut war, ist bisher nicht bekannt. Das ist die entscheidende Weichenstellung.“ Ein Experte des Landeskriminalamtes erklärte, von einer scharfen Granate könne nur gesprochen werden, wenn sowohl Sprengstoff als auch Zünder vorhanden seien. Aus Polizeikreisen hatte es zunächst geheißen, die Handgranate sei scharf gewesen.

Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in alle Richtungen und schließt ein fremdenfeindliches Motiv nicht aus. Einen konkreten Verdacht gebe es noch nicht. Befragungen in der Nachbarschaft hätten aber den einen oder anderen Hinweis dazu erbracht, hieß es.

104 Flüchtlinge leben in der Einrichtung

Die Granate wurde von Entschärfern um 5.08 Uhr kontrolliert gesprengt. Dafür bauten sie einen Schutzwall aus Strohballen um den Sprengkörper. In der Unterkunft leben nach Auskunft des Regierungspräsidiums Freiburg 104 Flüchtlinge aus mehreren Ländern, 39 davon aus Syrien, weitere Flüchtlinge stammten aus Afghanistan, Irak und Albanien. „20 Personen mussten kurzzeitig während der Sprengung das Gebäude verlassen“, sagte ein Polizeisprecher.

Die Handgranate sei gegen 1.15 Uhr von der Straße aus über den Zaun in eine Zufahrt des Geländes der Unterkunft geworfen worden, berichtete der Leiter der Sonderkommission „Container“, Rolf Straub. Der Sprengkörper sei neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegengeblieben, in dem sich nach Auskunft von Klemens Ficht vom Regierungspräsidium Freiburg zur Tatzeit drei Sicherheitsleute befanden. Die Granate explodierte jedoch nicht. Zwölf Streifenbesatzungen rückten an, die Polizei sperrte das Gelände und angrenzende Straßen weiträumig ab.

Der Angriff ist bundesweit der erste Fall, bei dem Sprengstoff zum Einsatz kam. „Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden. „Dass nun eine Kriegswaffe zum Einsatz gegen eine Flüchtlingsunterkunft kam, ist neu.“

Politik verurteilt die Tat einhellig

Politiker sprechen bundesweit von einer neuen Dimension der Gewalt. „Also das ist wirklich unfassbar, dass jetzt schon mit Handgranaten - quasi mit militärischen Waffen - auf Asylsuchende losgegangen wird“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Die Täter dürfen nicht ungestraft davon kommen“, twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) unter dem Hashtag #Handgranate.

CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf nannte die Attacke einen „Anschlag gegen die Menschlichkeit“. Die Tat müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaates verfolgt und bestraft werden. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, innenpolitischer Sprecher, bezeichnete die Tat als „Straßenterror“ und forderte einen Gipfel im Kanzleramt mit Diskussionen, „die am Wohl und Schutz der Flüchtlinge orientiert sind und nicht nur an deren Abwehr“.

Der Anschlag habe ihn zutiefst erschüttert, sagte der Freiburger Vizeregierungspräsident Ficht. „Zumal es eine Handgranate ist, die auch im Kriegsfall verwendet wird. Und das in einer Umgebung, in der wir eine Einrichtung betreiben, die Menschen Schutz bieten sollen, die vor so einer Situation geflohen sind.“ Wie es den betroffenen Flüchtlingen im Moment gehe, könne er nicht genau sagen, erklärte Ficht. Seine Mitarbeiter hätten aber Kontakt mit Asylbewerbern gehabt, die Lage sei ruhig.

Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) rief Mitarbeiter in seinem Zuständigkeitsbereich dazu auf, sich von der grassierenden „Hysterie“ inmitten der Flüchtlingskrise nicht anstecken zu lassen. „Wir werden die Lage bewerten wie sie ist und nicht wie sie scheint, wir werden dem Rechtsstaat weiter konsequent Geltung verschaffen, wir werden Vernunft walten lassen, wo andere Aktionismus an den Tag legen“, hieß es in einem internen Schreiben an seinen Stab.