Ein Mann, eine Frau. Das ist das ganze Personal von Peter Handkes Stück „Die schönen Tage von Aranjuez“. Jetzt wurde es in Wien bei den Festwochen uraufgeführt.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wien - Ein Garten. Eine Terrasse.“ So steht es in der einzigen ausführlichen Regieanweisung gleich zu Anfang in Peter Handkes neuem Stück „Die schönen Tage von Aranjuez“. Hier sollen wir ein Paar sehen, „Mann“ und „Frau“, detaillierter wird Handke da nicht, obwohl er im Verlaufe des „Sommerdialogs“ sehr detailliert werden kann, zum Beispiel wenn es um Äpfel, genauer Frühäpfel, geht. Oder Johannisbeeren. Oder Spatzen. Aber dazu später.

 

Bei den Wiener Festwochen und im Akademietheater jedenfalls hat der uraufführende Regisseur (und Freund) Luc Bondy gleich gemerkt, dass er Handkes hübsch-hässlichen Szenen einer Nähe und Ferne zwischen zwei Geschlechtern, wie Handke sagen würde, nicht so einfach zu packen bekommt und schon gar nicht poetisch: im Ungefähren. Was also macht Bondy? Zieht sich dorthin zurück mit seinen Schauspielern Dörte Lyssewski und Jens Harzer, wo es vor und während einer Uraufführung gleichzeitig am sichersten und gefährlichsten ist – auf die Probebühne.

Das Bühnenbild ist von Handkes Tochter

Ein Theatervorhang von hinten. Ein Gartentisch, zwei Stühle, rot und grün. Eine Garderobenecke für den Mann, eine Rauchecke für die Frau. Eine improvisierte Toilette hinter einem Vorhang. Ein Gitarrenverstärker, aus dem die Musik kommt. Das leicht trashige Bühnenbild ist – so bleibt alles ein bisschen in der Familie – von Amina Handke, der Tochter aus seiner Ehe mit Libgart Schwarz. Mit dem Frauenbild ihre Vaters, sagt sie dem ORF, könne sie gleichwohl „gar nichts“ anfangen. Passenderweise geht es kaum um etwas anderes in „Die schönen Tage von Aranjuez“.

Handke nämlich nimmt hier einen Faden wieder auf, der sein Werk so stark durchwebt wie kaum ein anderer. Vom „Kurzen Brief zum langen Abschied“ bis zum Frauenmonolog „Bis der Tag Euch scheidet“, der szenischen Antwort auf Samuel Becketts „Letztes Band“, muss man seine Einlassungen zum immer möglichen „Paarkrieg“ ja stets auch lesen als fortgeschriebene Handke’sche Selbstporträts. Selbst wenn die Frau redet, hört man den Mann. Und ein Liebesfrieden ist selten in Sicht.

Das Stück probiert einen für Handke neuen Ansatz. Der Mann und die Frau nämlich haben eine Art Nichtangriffspakt geschlossen, und zumindest bis zur Hälfte der knapp zwei pausenlosen Stunden sind die Rollen klar verteilt: Dörte Lyssewski erzählt von Männern beziehungsweise vom Ur-Mann, dem ersten in ihrem Liebesleben, vom Verlust der großen Liebe, der Jugend und der Gefühle überhaupt. Jens Harzer fragt. Er ist mehr Medium als Individuum. Vorerst. Gut möglich, dass es einmal anders war – und die beiden schon ein Paar gewesen sind. Gut möglich aber auch, dass es noch einmal anders wird, und die beiden erst noch eines werden. „Wer macht den Anfang?“, sagt der Mann. „Du. So war es gedacht“, antwortet die Frau.

Die Jukebox spielt mit

In diesem Moment liegen gleichzeitig ein Hauch Verdi und ein paar Töne von Creedence Clearwater Revival in der Luft, als habe jemand in Handkes Jukebox zwei Knöpfe gleichzeitig gedrückt. Gleichzeitig bebildert Bondy, der große Feinmechaniker des Theaters, auch sofort das Schiller-Zitat des Handke-Titels; komplettiert taucht es erst am Ende des Stücks auf: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Wir sind vergebens hier gewesen.“ Lyssewski und Harzer schälen sich allmählich aus spanischem Stehkragenkleid und Krinoline, als hätten sie tatsächlich vorher „Don Carlos“ und darin Elisabeth und den Infanten gespielt.

Als „Königin“ im Übrigen fühlt sich die Frau noch immer, wiewohl als „Königin im Exil“, seit dem ersten „Liebesakt“, von dem sie anfangs erzählt: „Etwas in mir und zugleich außerhalb von mir – übermannte mich . . . erschuf mich um.“ Handke lässt die Frau vorher in der Erinnerung auf einer Schaukel sitzen – und Bondy lässt sich das nicht zweimal sagen: schon schwingen ein paar Beine durch den Bühnenvorhang.

Aufgelockerte Monologe

Überhaupt greift Bondy nach jeder Möglichkeit, Handkes Frauen- und dann auch Männermonologe ein wenig aufzulockern. Dann weht Miles Davis’ Einsamkeitstrompete über die Szene oder George Brassens, ein wenig Flamenco und Natalie Cole. Einmal erscheinen auf dem Vorhang Elizabeth Taylor und Paul Newman in der „Katze auf dem heißen Blechdach“. Alles Zitate aus dem Wortschatz von Peter Handkes Kämpfen.

Am Ende – der Mann hat die Frau immer wieder sanft am Gehen gehindert, zuletzt kommt sie von selbst wieder zurück – sitzt sich das Paar am Gartentisch gegenüber: erschöpft und aufgekratzt von allen möglichen Konfessionen zugleich, und Bob Marley singt „Redemption Songs“, davon war im Stück schon die Rede: „Wirst du mir helfen, Freiheitslieder zu singen? Alles, was ich kenne, sind Zufluchtsongs.“

Der Eiswind des Lebensherbstes

Nach „Immer noch Sturm“, Handkes furiosem „Heimatstück“, wirken die „Schönen Tage“ wie ein absichtlich kompliziert gewirktes Sommerscherzo, durch das der Eiswind des Lebensherbstes zieht. Aber ein Theaterstück ist das eher weniger. Jedenfalls möchte man der Frau ausdrücklich widersprechen, wenn sie zum Mann sagt: „Es ist kein Tag zum Rätselraten.“ Es ist ein Abend voller Mysterien.

Dazu trägt bei, dass Dörte Lyssewski stets sie selbst bleibt, also die Frau, während Jens Harzer, der Mann, die Kostüme und die Haltung wechselt. Erst ist er am ehesten ein wissbegieriger Freund („Erzähl. Wir werden sehen.“). Dann erscheint er als Getriebener („Morgen zurück in die Kapitale. Die Arbeit wartet auf mich. Die Schlacht. Das Morden.“). Er gibt ein komisches Zwischenspiel als schnurrbärtiger Trottel, dem der Sekt beim Einschenken überläuft (halb Groucho Marx, halb Nietzsche), und hält gleich darauf in der linken Hand entschlossen eine Axt, während er in der rechten elegant einen Federballschläger balanciert. Weiter mutiert er zum Indianer unter einem riesigen Kopffederschmuck und erscheint schließlich als Mann, der seine Wunden herzeigt: die Brust voll Blut.

Manchmal durchaus schwafelig

Im Übrigen kann er seitenlang dozieren, wie nur eine Theaterfigur von Peter Handke dozieren kann: eben über Frühäpfel oder über die wilde (!) Johannisbeere. Oder über Spatzen, einen Passus, den Harzer einmal energisch sarkastisch vernuschelt. Es ist ihm – ganz offensichtlich – ein wenig zu viel Esoterik. Während die Frau Emanzipation rekapituliert und vergleichsweise konkret wird, schweift der Mann immer weiter ab: durchaus auch ins Schwafelige. Was Handke ungefähr sagen wollte, lässt er erst am Schluss aussprechen: „Es gibt keine glückliche Liebe.“ Die Frau sieht es pragmatischer. Sie entblößt ihre Schultern: „Schau da, die andere Ewigkeit!“ Jedem Ende wohnt ein Anfang inne.

Lyssewski und Harzer (unter diesem Schauspielerniveau wird es mit dem Stück nicht gehen, also fast nirgendwo sonst) lassen sich nur selten anmerken, dass sich auch ihnen hier nicht in jeder Sekunde der Sinn vermittelt. Also formen sie brillant Handkes Wortreichtum und auch manchen Schwulst zu vordergründiger Klarheit. Luc Bondy hilft ihnen dabei, indem er Handkes Stück ernst und aufmerksam, zwischendurch aber auch wie eine kleine Schrulle inszeniert. Wer Handkes Text zuvor gelesen hatte (und manche seine Gespreiztheiten auch von der ironischen Seite zu sehen weiß), mochte teils auf seine Kosten kommen. Mäßiger Applaus für den Freundschaftsdienst.