Politik: Matthias Schiermeyer (ms)


Um wie die Frau von nebenan zu wirken, gibt sich die Kandidatin transparent, versucht aber alles im Griff zu behalten. Das kann schief gehen. Weil die "Bunte" sie neulich präsentieren wollte, als sei sie aus "Sex and the City" entstiegen, streikte Kraft im letzten Moment. "Die Offenheit hat ihre Grenzen", sagt sie. Die CDU hat dennoch auf diese menschliche Offensive reagiert: Um Rüttgers vom Image des Technokraten zu befreien, muss seit kurzem seine Frau Angelika mit auf die Bühne und von daheim erzählen. Es ist erstaunlich, dass es bei so viel Exhibitionismus auch um Politik geht. Vor der Antonius-Kirche in Gronau redet Hannelore Kraft über Gerechtigkeit - im Sozialbereich, auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildungspolitik. Selten fehlt der Satz: "Wir Sozialdemokraten haben auch nicht alles richtig gemacht in NRW." Sie versteht sich als Kümmerin und Rettungsengel der Benachteiligten. Gerechtigkeit ist ihr Programm, dahinter kommt wenig.

So sehen Hoffnungsträger der SPD aus. Kraft hat es, quasi aus dem Nichts, zur Vizechefin der Bundespartei gebracht. Vor gut 300 Studenten der Universität Münster wirbt sie für die schrittweise Abschaffung der Studiengebühren. In Drensteinfurt robbt sie sich mit mangelndem Fachwissen an die Not der Milchviehhalter heran. In Greven besucht sie das Integrationsprojekt "Möbelbrücke" und befragt sieben arbeitslose Frauen. "Haben Sie das Gefühl: die Politik tue nichts für Sie?", fordert Kraft eine 19-Jährige heraus. Nicole hat von der Kandidatin bisher nichts vernommen. Sie hat noch nie gewählt und plant dies auch künftig nicht. Die Politikerin müsste jetzt nachhaken, eilt aber zum nächsten Termin.

"Sie muss mehr aus sich herauskommen."


Dabei ist der Dialog ihre Stärke, mehr als die freie Rede. Verbale Attacken gegen Rüttgers vermeidet sie. Mancher Bürger hätte es gern deftiger, auch in Dülmen, wo die Kandidatin Rosen verteilt. "Es könnte ein bisschen mehr Power draufkommen", befindet der Rentner Horst Curbach. "Sie muss mehr aus sich herauskommen."

Hannelore Kraft muss nicht mit Dreck auf den Ministerpräsidenten werfen, das tun andere. Nie zuvor haben Internetblogger derart die Politik des Landes aufgemischt. Es ist nicht klar, wer alles am Werk ist. Die SPD beteuert, damit nichts zu tun zu haben. Das muss sie auch nicht, denn es gibt offenbar genug enttäuschte Christdemokraten und Journalisten, die sich dafür revanchieren wollen, dass Jürgen Rüttgers einst 39 Jahre Genossenfilz in Nordrhein-Westfalen beendet hat. Einige der Dateien, die mehr über die verdeckte Parteienfinanzierung oder fehlerhafte Abrechnungen offenbaren, stammen aus den Mailfächern der CDU. Veröffentlicht werden sie auf Internetseiten von zweifelhaftem Ruhm.