Journalisten mehrerer bekannter Medien lesen im Stuttgarter Renitenztheater Leserbriefe voller rassistischer Beleidigungen. Die derben Beschimpfung und Gewaltphantasien zeitigten am Samstag frenetischere Reaktionen des Publikums.

Stuttgart - Dieser eine Satz, ein Leserkommentar, per Kurznachrichtendienst Twitter gerichtet an den „Zeit“-Kollegen Yassin Musharbash, lässt Deniz Yücel von der „taz“ nicht los. Er brüllt ihn ins Mikro, kopfschüttelnd, lachend, immer wieder, bis es melodisch klingt. „Bedauern Sie nicht mich, sondern Deutschland“, lautet der Satz, der, gepaart mit dem Rest der Tirade, sehr wohl zum Kopfschütteln animieren sollte, kaum aber zum Lachen. Yücel lacht trotzdem, er lacht mit dem Publikum der Hate-Poetry im Renitenztheater, weil das zuweilen die einzige Chance zur Seelenreinigung ist.

 

Journalisten auflagenstarker Medien wie der „taz“, dem „Spiegel“ oder der „Zeit“ sind harsche Leserreaktionen gewöhnt. „Wenn du für Spiegel Online einen Artikel schreibst, hast du innerhalb von ein paar Stunden 900 Briefe oder Kommentare“, sagt Yassin Musharbash. Doch weil der Sohn eines jordanischstämmigen Vaters und einer deutschen Mutter eben nicht Peter Müller heißt, greifen viele Leser tief in die alltagsrassistische Vorurteilskiste.

Musharbash hat diese Erfahrung gemacht, viele andere Kollegen mit fremdklingendem Namen ebenso. Weil sie es satt waren, die Beleidigungen auf sich lasten zu lassen, gingen sie erstmals Anfang 2012 in Berlin mit den anonymisierten Briefen an die Öffentlichkeit. Das Vorlesen vor einem Publikum, das sich königlich amüsiert ob der dummdreisten Absurdität unreflektierter Leserbriefschreiber, nennt Yassin Musharbash einen „Akt der Katharsis, weil mir die Reaktionen zeigen, dass ich es mir nicht nur einbilde, wie lächerlich diese Briefe sind“.

Kabarettwoche bringt Hate-Poetry nach Stuttgart

Die 10. Deutsch-Türkische Kabarettwoche brachte die antirassistische Veranstaltung nun nach Stuttgart und im trotz nachtschlafender Zeit bestens gefüllten Renitenztheater saßen mit Musharbash, Yücel, Özlem Gezer, Özlem Topcu und Ebru Tasdemir fünf Rampensäue auf der Bühne, rauchend, trinkend, trötend, konfettiwerfend, die alles dafür taten, den um viertel vor zwei endenden Abend zu einer Party zu machen, entgegen des Klischees des unaufgeklärten, verklemmten Moslems.

Viele der Anfeindungen, die den Journalisten tagtäglich entgegenschwappen, lassen sich kaum zitieren: Mohammedanerweibchen, Trulla mit Knoblauchkultur oder türk-islamisches U-Boot zählen zu den harmloseren. Sie solle gefälligst dankbar und demütig sein, schrieb ein Leser an Özlem Gezer. Denn wenn man ihren Großvater nicht ins Land gelassen hätte, säße sie nun kopftuchtragend mit sechs Kindern in Anatolien fest.

Doch es sind weniger die Briefe vom offensichtlichen rechten Rand, die am meisten Nachklang haben, sondern die, die mit Sätzen wie „Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber . . .“ oder „Man wird in Deutschland ja noch mal sagen dürfen, dass . . .“ beginnen. Auf feinem Papier und in schönster Schrift informierte eine Rentnerin Özlem Topcu, sie verliere wegen zu vieler Ausländer ihr Heimatgefühl und habe Angst um die Abwehrkräfte Deutschlands.

Eine Show mit selbstreinigendem Gewitter

Die derben Beleidigungen und Gewaltphantasien zeitigten am Samstag frenetischere Reaktionen des Publikums, nachdenklicher aber machen die Wortmeldungen aus dem bürgerlichen Lager, weil sie auf ein gesellschaftliches Klima der Furcht und des Misstrauens verweisen. „Wir erkennen unser eigenes Land nicht wieder“, sagt Özlem Topcu.

Doch eine Betroffenheitsveranstaltung will Hate-Poetry nicht sein, sondern eine Show mit selbstreinigendem Gewitter, wie Yassin Musharbash klar macht, als er sich von den im Stehen applaudierenden Zuhörern verabschiedet. „Wir weigern uns, uns beleidigen zu lassen“, sagt er, „wir schicken den Hass zurück, bevor wir ins Bett gehen“.

Und als der Rausch der Party verraucht ist und Deniz Yücel hinter der Bühne diesen Satz noch einmal wiederholt, ist zu spüren, wie sehr ihn all die Briefe eigentlich in Rage versetzen. „Bedauern Sie nicht mich, sondern Deutschland.“