Eigentlich hatten alle eine Fliegerbombe im Schlossgarten in Stuttgart vermutet. Doch dort war nur ein Rohr verbuddelt. Der Spott ist den Beteiligten nun sicher.

Stuttgart - Die Spezialisten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes haben eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg erwartet, gestoßen aber sind sie am Sonntag in aller Frühe auf ein gusseisernes Rohr. Gegen sechs Uhr haben die vier Experten mit ihrer Arbeit im Schlossgarten gleich neben dem Hauptbahnhof begonnen: Mit einem Bagger trugen sie Erdschicht für Erdschicht ab, bis sie auf den Metallgegenstand stießen, den sie zuvor mit einem Detektor ausgemacht hatten. Anstatt des vermuteten Blindgängers fand sich dann aber lediglich ein Rohr im Boden. Daraufhin wurde die Evakuierung des Hauptbahnhofs und der umliegenden Straßen von der Polizei abgesagt. Mit Lautsprecherdurchsagen informierten die Polizisten die Anwohner.

 

Für den Spott brauchten die Beteiligten nicht zu sorgen: Schon kurz nach Räumung der Fundstelle befestigte ein Unbekannter das liegen gebliebene Rohr am Bauzaun und versah das Ganze mit zwei Schildern: „Nur die aller dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“, ist darauf zu lesen. Peer Müller, der Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, dagegen sieht keinen Anlass für Häme, er bewertet den harmlosen Fund als Teil seiner Arbeit: „Es gehört dazu, dass wir vor allem in innerstädtischen Bereichen immer wieder mal auf andere Metallgegenstände stoßen.“ Das komme allerdings nur selten vor, Zahlen wollte der Sprengstoffexperte keine nennen.

Viele Indizien haben für eine Bombe gesprochen

Auch in diesem Fall hätten verschiedene Indizien für einen Bombenfund gesprochen: Zum einen lag eine Luftbildaufnahme der amerikanischen Streitkräfte von 1945 vor, die an der Stelle eine Einschlagstelle zeigt, zum anderen habe die Untersuchung mit einem Metalldetektor samt speziellem Computerprogramm den Verdacht genährt. Als drittes Anzeichen für einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg nennt Müller die Tiefe, in der das Abflussrohr lag: Der Kampfmittelräumdienst habe etwa einen Meter Erde entfernen müssen. Da seit Kriegsende bereits etwa 1,80 Meter Boden abgetragen wurden, stimmten die Maße mit anderen Bombenfunden überein. „Wir haben in den Leitungsplänen auch keinen Hinweis auf ein Abwasserrohr in diesem Bereich gefunden, deshalb vermuten wir, dass das Rohr aus Vorkriegszeiten stammt“, sagte Müller. Möglicherweise sei die Bombe, auf die das Luftbild schließen lasse, bereits kurz nach Kriegsende beseitigt worden, allerdings ohne dass dies entsprechend dokumentiert worden sei. „Der Zufall hat ein böses Spiel mit uns getrieben“, bilanzierte der Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes.

Die 80 betroffenen Anwohner dürften die per Lautsprecher verkündete Nachricht gerne gehört haben, sie mussten ihre Wohnungen nicht wie angekündigt bis 9 Uhr geräumt haben, sondern konnten sich noch einmal in ihren Betten umdrehen. Für diejenigen, die die Nachricht nicht glauben oder sich noch einmal absichern wollten, hatte das Amt für öffentliche Ordnung bis neun Uhr ein Informationstelefon geschaltet, die Nummer war den Betroffenen vorher in einem Anschreiben mitgeteilt worden.

Nicht evakuiert wurden auch die drei Hotels, die in der Schutzzone lagen. Im Steigenberger wurde allen 100 Gästen ein eilends verfasster Brief unter der Zimmertür durchgeschoben, in dem sie über den harmlosen Fund und die abgesagte Evakuierung informiert wurden. „Wir wollten die Gäste nicht durch einen Anruf aufschrecken, sondern ihnen die Möglichkeit geben, ihren Tag in Ruhe neu zu planen“, sagte der Empfangsleiter Jan Lohrmann. Eigentlich war vorgesehen gewesen, das Hotel bis 9 Uhr zu räumen, die Gäste hatten kostenlose Eintrittskarten für das Mercedes-, das Porsche- und das Kunstmuseum erhalten. „Der freie Eintritt galt natürlich trotzdem“, versicherte Lohrmann und stellte fest: Alle hätten die Nachricht von dem Rohrfund mit Humor genommen. Die 30 Hotelmitarbeiter, die die Evakuierung absichern und die geräumten Zimmer noch einmal kontrollieren sollten, konnten rechtzeitig über ihren freien Tag informiert werden.

Normalbetrieb auf den Gleisen

Normalbetrieb herrschte auch im Hauptbahnhof und auf den Gleisen. „Die S-Bahnen und Züge konnten über den Hauptbahnhof fahren“, erklärte ein Bahn-Sprecher. Lediglich drei Intercity-Züge von und nach Zürich sowie nach Frankfurt seien nicht im Stuttgarter Hauptbahnhof, sondern von den Ersatzbahnhöfen in Böblingen und Ludwigsburg aus gestartet. „Wir haben aber wie angekündigt alle Ersatzhaltestellen angefahren“, versicherte der Bahn-Sprecher. Es sei lediglich zu vereinzelten Verspätungen gekommen. Die Bahn hatte im Vorfeld der Räumung für 20 S-Bahnen und 50 Regional- und Fernzüge geänderte Routen angekündigt.

Entwarnung bekamen auch die 300 Polizisten, die die Absperrungen in der Schutzzone vornehmen und nach der Evakuierung bei den Anwohnern klingeln sollten. Sie konnten früher heimgehen oder mussten ihren Dienst erst gar nicht antreten. „Die bereitgestellten Absperrgitter wurden sofort wieder abtransportiert“, sagte der Polizeisprecher Jörg Kurowski. Bei der Stadt Stuttgart warb Sven Matis um Verständnis: „Für uns wäre der viel schlimmere Fall, wenn während der Bauarbeiten eine Bombe gefunden würde und wir dann ad hoc womöglich noch in der Hauptverkehrszeit evakuieren müssten. Dann wäre das Chaos perfekt.“ Die Spezialisten des Regierungspräsidiums haben in Stuttgart zuletzt im November 2011 im Feuerbacher Wald eine britische 250-Kilogramm-Fliegerbombe ausgegraben. „Das haben aber nur wenige mitbekommen“, sagt Peer Müller.