Ihre Geschichte hatte alles, was ein James-Bond-Thriller braucht: Spione, Politiker im Dienste Seiner Majestät und Sex. Im Zentrum: Ex-Partygirl Christine Keeler.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Farnborough - In ihrer Glanzzeit sah Christine Keeler hinreißend aus. Langes braunes Haar, strahlendes Lächeln, eine umwerfende Figur, verführerisch feminin gekleidet. Mehr als 55 Jahre ist ihre Zeit als Femme Fatale her. Nun ist die frühere Oben-ohne-Tänzerin, die Anfang der 1960er Jahre in einen der größten Sex- und Politskandale der britischen Nachkriegszeit verwickelt war, im Alter von 75 Jahren gestorben.

 

Christine Keeler litt seit langem an der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD (Chronic obstructive pulmonary disease). Am späten Montagabend erlag sie ihrem schweren Leiden in einer Klinik im südenglischen Farnborough, wie einer ihrer beiden Söhne am Dienstag der Zeitung „The Guardian“ mitteilte. Seine Mutter habe einen „Platz in der britischen Geschichte erworben, jedoch zu einem hohen persönlichen Preis“, schrieb ihr Sohn Seymour Platt auf Facebook. Die Familie sei „sehr stolz“ auf sie.

Mehrere Liebhaber zur gleichen Zeit

Die damals mit dem britischen Arzt Stephen Ward zusammenlebende ledige Keeler hatte – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – zeitgleich ein Verhältnis mit dem sowjetischen Marineattaché in London Jewgeni Iwanow und dem britischen Kriegsminister John Profumo. Als die damals 19-Jährige im Juli 1961 den 46-jährigen Profumo auf einer Party kennenlernte, begann eine Affäre, die Großbritannien erschütterte. Was keineswegs an der damaligen vermeintlichen Prüderie lag.

Die Liaison dauerte nur wenige Wochen. Am 9. August 1961 teilte der Minister seiner Geliebten in einem Brief mit, dass er sie nicht länger sehen könne. Der britische Geheimdienst MI5 war dem prominenten Fremdgänger auf die Schliche gekommen und hatte Kabinettssekretär Sir Norman Brook informiert, der Profumo zur Rede stellte.

Die Tänzerin und der Minister

Am 5. Juni 1963 legte der mit einer Schauspielerin verheiratete Profumo sein Amt nieder, nachdem er das Parlament und den Untersuchungsausschuss über seine außereheliche Beziehung zu Christine Keeler und deren Verbindungen zu Iwanow belogen hatte. Im Oktober 1963 stürzte dann auch die konservative Regierung unter Premierminister Harold Macmillan.

„Ich war nur ein 19-jähriges Mädchen, das eine gute Zeit hatte. Ich habe jede Minute davon geliebt“, sagte Christine Keeler rückblickend. Doch wenn sie gewusst hätte, was alles passieren würde, wäre sie wohl doch weggerannt – zu ihrer Mutter. In ihren Memoiren behauptete sie, von Profumo schwanger gewesen zu sein. Die Affäre wurde 1989 in dem US-Spielfilm „Scandal“ mit John Hurt und Bridget Fonda verfilmt.

Model, Kellnerin, Stripperin, Geliebte

Christine Keeler kam von ganz unten. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte die am 22. Februar in Uxbrigde – heute ein Stadtteil von London – geborene Britin mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in zwei umgebauten Eisenbahnwaggons. Mit 15 arbeitete sie als Vorführmodel in einem Londoner Kleidungsgeschäft. Zwei Jahre später kam ihr erster Sohn zur Welt, der bereits nach sechs Tagen starb.

Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Bedienung, Model, Nackttänzerin und Geliebte. Männer wurden von ihr angezogen wie die Motten vom Licht. Zu ihren Liebhabern gehörten neben Prominenten auch zwielichtige Gestalten wie Aloysius „Lucky“ Gordon und Johnny Edgecombe. Wegen Meineids in einem Verfahren gegen Gordon wurde sie zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, von denen sie sechs Monate absaß.

Kurzer Ruhm

Christine Keeler versuchte ihre zeitweilige Bekanntheit zu nutzen. 1963 stand sie dem Fotografen Lewis Morley Modell. Auf einem der Fotos ist sie nackt rittlings auf einem Sperrholzstuhl zu sehen. Das Foto ging um die Welt und wurde zur Ikone der Profumo-Affäre. Danach wurde es still um die brünette Schönheit. Zwei Ehen hielten nur kurz und endeten mit Scheidungen. Sie arbeitete in einer Schulküche, schrieb ihre Memoiren. 1987 hatte sie mit Nerzstola und Schmuck-Collier bekleidet einen kurzen Auftritt im Video für Bryan Ferrys Song „Kiss and Tell“.

„Mein Freund Stephen Ward stellte sich als Spion für die Sowjets heraus“, sagte sie 2001 in einem Interview mit dem „Stern“. „Er arrangierte, dass ich gleichzeitig mit Jewgeni Iwanow und John Profumo schlief. Ich sollte von Profumo herauskriegen, wo die Amerikaner in Deutschland ihre Atomwaffen stationiert hatten. Ich wurde zum Spion, ohne mein Land verraten zu wollen.“

Der Stuhl, auf dem sich Christine Keeler 1963 bei der Fotosession so lasziv räkelte, erlangte indes als Modell 3107 Kultstatus – genauso wie sein Designer, der Däne Arne Jacobsen.