Siemens-Chef Joe Kaeser sieht sich wachsender Kritik von Investoren ausgesetzt. Auf der Hauptversammlung in München kritisieren Anteilseigner den Preis für die Öltechnik-Firma Dresser-Rand.

München - Die Schonfrist für Siemens-Boss Joe Kaeser ist abgelaufen. Als er vor eineinhalb Jahren die Nachfolge seines unglücklichen Vorgängers Peter Löscher angetreten hatte, wurde ihm noch viel Vorschusslorbeer zuteil. Der welkt zunehmend, wie bei der diesjährigen Hauptversammlung des Technologieriesen in der Münchner Olympiahalle rasch klar wurde. Aktionäre aller Couleur von den Kleinanlegern bis zu den mächtigen Fondsgesellschaften warten bislang vergeblich auf echte Erfolge, die sich auch bilanziell niederschlagen, weil sich Löschers Erbe als schwergängig erweist. Und erstmals sind auch Zweifel an einer von Kaeser selbst zu verantwortenden Großtat aufgetaucht. „Mit der Akquisition von Dresser-Rand haben Sie viel Kredit verspielt“, kritisierte Fondsmanager Henning Gebhardt. Gemeint ist der jüngste Zukauf des US-Konzerns für knapp sieben Milliarden Euro.

 

Der teuerste Neuerwerb von Siemens der jüngeren Firmengeschichte steht unter keinem guten Stern. Denn mit der US-Firma will Siemens im großen Stil einen Fuß ins vermeintlich lukrative Öl- und Gasgeschäft vor allem in den USA bekommen, wo Kaeser Nachholbedarf ausgemacht hat. Schönheitsfehler des Kraftakts ist aber, dass sich der Ölpreis seit der Kaufentscheidung vorigen Herbst auf unter 50 Dollar je Barrel praktisch halbiert hat. Der von den USA ausgelöste und ökologisch umstrittene Fracking-Boom kommt deshalb gerade zum Erliegen, weil die Fördermethode teuer ist. Aber auch auf Fracking schielt der Zukauf. Dresser-Rand sei kein Schnäppchen, hatte Kaeser schon vor Monaten eingeräumt, als der Ölpreis noch weit höher lag und die Investitionen der Öl- und Gasindustrie in die Produkte des US-Neuerwerbs noch sprudelten. Siemens-Aktionäre fühlen sich nun vom Hoffnungsträger Kaeser in Zeiten zurückversetzt, in der Siemens Firmen teuer in deren Branchenhoch erworben hat, um dann später teuer wertberichtigen zu müssen. Bei der Medizintechnikfirma Dade Behring war das so und noch schlimmer beim Einstieg in die Solartechnik, die Siemens im eigenen Haus inzwischen abgewickelt hat.

Kaeser verteidigt seine Strategie

Kaeser beschwört dagegen eisern, mit seiner Öl- und Gasstrategie das Richtige zu tun. Der aktuell starke Verfall des Ölpreises sei nur vorübergehend. Sein Milliardendeal werde sich noch als segensreich erweisen, sagte Kaeser vor den Aktionären.

Kaesers Zwischenbilanz nach 18 Monaten ist zwiespältig. Allseits gelobt wurde beim Eignertreffen der vom Siemens-Chef verordnete Konzernumbau mit einer organisatorischen Konzentration von 16 auf neun Geschäftsfelder; auch, dass eine Managementebene gestrichen würde, darf Kaeser für sich als Pluspunkt verbuchen. Die Geschäftsprognosen werden wieder erfüllt, das war unter Löscher nicht so. Die Bahnsparte ist kein Sorgenkind mehr, und das Risikomanagement bei Neuaufträgen funktioniert nun offenbar. Randgeschäfte wie Bosch Siemens Hausgeräte und der Bereich Hörgeräte wurden verkauft. Bilanziell wirkt sich das aber noch kaum aus. Die Umsätze stagnieren, und beim Geldverdienen klafft weiter eine Lücke im Vergleich zum US-Rivalen General Electric. Das geht auch auf aus Löscher-Zeiten geerbte Verlustaufträge zurück, die weiterhin hohe Abschreibungen erfordern. 881 Millionen Euro waren es im Geschäftsjahr 2013/14, das bei Siemens traditionell Anfang Oktober endet. Im vierten Quartal 2013/14 verdiente Siemens unterm Strich knapp 1,1 Milliarden Euro und damit ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum.

Stellenabbau im Kraftwerksgeschäft erwartet

Das vielleicht heißeste Eisen im eigenen Haus will Kaeser nun anpacken. Das ist der Stellenabbau, der aus dem von ihm schon vor vielen Monaten verordneten Sparprogramm resultiert. Darüber wird seit Mai 2014 spekuliert, das löst innerhalb der Belegschaft zunehmend Unruhe aus. Von bis zu 12 000 betroffenen Stellen ist die Rede. Erst würden die Mitarbeiter informiert, dann die Öffentlichkeit, kündigte Kaeser Klarheit für nächste Woche an. Am größten sei der Handlungsbedarf im Kraftwerksgeschäft, lange eine sprudelnde Gewinnquelle der Münchner, stellte er klar. Bereits beschlossen ist in der Sparte der Abbau von 1200 Stellen. Aber das dürfte nach Lage der Dinge kaum reichen. Den für das sich abzeichnende Debakel verantwortlichen Manager Roland Fischer hat Kaeser soeben gefeuert. Bei den Aktionären wirbt der Siemens-Chef für Geduld. Auf Augenhöhe mit enteilten Konkurrenten werde Siemens erst 2017 wieder kommen. Ein Jahr früher soll der Umsatz erstmals seit Langem wieder spürbar wachsen.