Wohnen auf dem Neckar: Die gelernte Restauratorin Sabine Tauchert verwandelt einen altersschwachen Kahn in ein architektonisches Kunstwerk.  

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Über dem Neckar wabert der Winternebel, als die Schiffseignerin ihren amerikanischen Campingbus am Oberesslinger Kai parkt. Hinter der Windschutzscheibe baumelt ein Totenkopf, Sabine Taucherts Nasenflügel ziert ein Ring. Sie steigt aus, die Deutsche Dogge Panthera folgt bei Fuß. Eine stählerne Treppe führt in den Rumpf.

 

Wofür braucht man ein Hausboot? "Ich wollte schon immer in einem Wasserschloss oder auf einem Schiff wohnen", sagt Sabine Tauchert. Das Wasserschloss blieb ein Luftschloss, weil eine selbstständige Kulissenbauerin keine Millionen verdient. Einen alten Kahn konnte sich Sabine Tauchert aber leisten. Baujahr 1893, 44 Meter lang, sechs Meter breit, 187 Tonnen schwer.

In seinen besten Tagen transportierte der Frachter Kies von Mannheim nach Stuttgart. In den 1960er Jahren wurde er von einer holländischen Familie zu einer primitiven Behausung umgebaut. Zuletzt war er in Neckarsulm vertäut und im Internet zum Verkauf annonciert. Sabine Tauchert, die lange nach einem bezahlbaren Traumschiff gesucht hatte, schlug zu, nachdem sie testweise einen verregneten Nachmittag an Bord verbracht hatte: "Es war einfach saumäßig gemütlich."

Noch regiert das Chaos

Der große Vorteil eines schwimmenden Eigenheims ist, dass man keine Baugenehmigung benötigt, um es nach den eigenen Vorstellungen umzugestalten. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, und Sabine Tauchert besitzt eine grenzenlose Fantasie. Den handgenieteten Stahlrumpf lässt sie in seiner frühindustriellen Schönheit erstrahlen, hier unten im Schiffssouterrain wird sie ihr Atelier einrichten. Eine Wendeltreppe führt nach oben, ins 21. Jahrhundert: Das Wohnloft dominiert eine Front aus wärme- und schallisoliertem Glas, dazu viel Alu und ein dunkler Dielenboden.

Großzügige Wintergärten an Bug und Heck. Wenn alles fertig ist, will sich Sabine Tauchert mit ihrem architektonischen Kunstwerk für einen Designpreis bewerben. Noch regiert das Chaos. Eigentlich sollte die 350 Quadratmeter große (Im)Mobilie innerhalb von sechs Monaten herausgeputzt werden. Längst ist ein Jahr um, und überall liegt unverarbeitetes Baumaterial herum. Dazwischen Yuccapalmen und Birkenfeigen, die vor dem Frost in Sicherheit gebracht wurden.

Sabine Tauchert geht es nicht besser als einem durchschnittlichen Hausrenovierer: Sie hat den Aufwand unterschätzt und manch böse Überraschung erlebt. So fand die Schiffseignerin unter den Spanten 14 Tonnen Sand, den die holländischen Vorbesitzer - mutmaßlich zum Schallschutz - in den Boden geschüttet hatten. Eimerweise schleppte die 55-Kilo-Frau den überflüssigen Ballast an Land. "Seither habe ich Affenarme", sagt sie.

"Meine Ersparnisse sind aufgebraucht"

Fast alles macht die gelernte Restauratorin selbst. Sandstrahlen, Lackieren, Schreinern, Böden verlegen, Fenster einsetzen, Geländer anschrauben. Ihr Lebensgefährte Matthias Läpple, ein Flaschnermeister, hilft nach Feierabend. Lediglich für einzelne Schweißarbeiten engagiert Sabine Tauchert gegen Bezahlung einen Schlosser, "weil ich keine wasserdichte Naht hinbekommen würde".

Trotz der neunzigprozentigen Do-it-yourself-Methode hat Sabine Tauchert ihr Budget längst überzogen; die Materialkosten sind mittlerweile im sechsstelligen Bereich angelangt. "Meine Ersparnisse sind aufgebraucht", sagt sie und dass sie vor lauter Hausbootbau ihre Erwerbsarbeit sträflich vernachlässigt habe. Um nicht in den roten Zahlen zu versinken, hat sie sich selbst einen Baustopp verordnet. Wenn die aus Flaschen gespeiste Gasheizung installiert und die letzten Holzdielen verlegt sind, "dann muss ich erst einmal schauen, dass wieder Geld reinkommt".

Ihr neues Domizil hat sie auf den japanischen Namen "Minato Hatchi" getauft - das bedeutet "Hafen-Sabine". Einen eigenen Antrieb besitzt Minato Hatchi nicht mehr, sonst müsste Sabine Tauchert das große Schifffahrtspatent besitzen, was sie wiederum nur bekommen würde, wenn sie mindestens sieben Jahre zur See gefahren wäre. Da ist es einfacher, den kastrierten Kahn vom Umbauplatz in Oberesslingen 20 Kilometer stromabwärts in seinen künftigen Heimathafen schleppen zu lassen.

Der Schiffshund verteidigt sein Revier

Das Grundstück für ein Hausboot heißt Liegeplatz und ist in Stuttgart ungefähr so leicht zu bekommen wie eine Sozialwohnung in Halbhöhenlage. Sabine Tauchert hat es wundersamerweise geschafft, die Behörden davon zu überzeugen, dass sie mit Minato Hatchi dauerhaft nahe dem Max-Eyth-See anlegen darf. "Ich kann ziemlich nervig sein, wenn ich mir mal etwas in den Kopf gesetzt habe", sagt sie. Ende März, so ist es geplant, wird Sabine Tauchert ihr Hausboot am Neckarufer mit Blick auf den Schnarrenberg vertäuen.

 In anderen europäischen Metropolen ist die alternative Wohnform längst ein Massenphänomen. Amsterdam wäre ohne seine 2300 schwimmenden Häuser nicht Amsterdam. Auch in Paris, London und Kopenhagen gehören Hausboote zum Stadtbild. Und in den deutschen Großstädten Berlin, Hamburg und Köln findet man immerhin einzelne schwimmende Kolonien.

In Stuttgart gibt es demnächst die Einzelerscheinung Minato Hatchi. Schon während der Restaurierungsarbeiten hat Sabine Tauchert erfahren, wie es ist, eine Kuriosität zu bewohnen. Auf der Oberesslinger Neckarinsel beobachten täglich Schaulustige, wie sie einen alten Pott in eine schicke Heimstatt verwandelt. Mancher Neugierige kommt unaufgefordert an Bord, ohne zu ahnen, in welche Gefahr er sich damit begibt: Selbstverständlich verteidigt der Schiffshund sein Revier gegen Eindringlinge. Einmal konnte sich ein blinder Passagier nur durch einen Sprung in den Neckar vor Panthera retten.

Viel Charme aber einige Nachteile

Geladenen Gästen gegenüber gibt sich die Deutsche Dogge handzahm. Erst lässt sie sich hinter den Ohren kraulen, dann rollt sie sich auf ihrer Matratze zusammen. Draußen ist ein düsterer Wintertag, man sieht den Fluss kaum und fühlt sich fast wie in einem normalen Haus. Sabine Tauchert erzählt Geschichten aus ihrem Künstlerinnenleben, die den Schluss zulassen: Der 45-Jährigen macht es Spaß, anders zu sein. Sie pflegt einen sehr persönlichen Lebensstil.

Fünf Autos und vier Motorräder besitzt sie, lauter alte exotische Kisten. Mal setzt sie Panthera in den Beiwagen und kurvt mit einem Militärgespannwagen einen Tag durchs Ländle. Mal düst sie mit einer 250er-Enduro monatelang durch Afrika. Sabine Tauchert verschwendet keinen Gedanken an die Altersvorsorge. Sie ist nicht für Vollkaskoversicherungen oder eine 96-Quadratmeter-Eigentumswohnung geschaffen.

Ein Hausboot passt zu ihrer Umtriebigkeit. Der Kahn lebt und ist ständig in Bewegung. Er schaukelt sanft und gluckert leise. Im Sommer sprang Sabine Tauchert zu den Barschen ins Wasser. Jetzt, im Winter, beobachtet sie ihre Zierfische in dem riesigen Aquarium auf dem Oberdeck. Das Domizil hat viel Charme, aber auch einige Nachteile. Das Bad ist nur eine schnöde Nasszelle. Was in der Toilette runtergespült wird, landet in Fäkalientanks, die regelmäßig leer gepumpt werden müssen. Und das Trinkwasser muss per Laster angeliefert werden.

So teuer wie ein Apartment

Zwar könnte sich Sabine Tauchert eine Leitung zu ihrem fest vertäuten Neckardomizil legen lassen, aber das ist für sie unbezahlbar. Zumal ein Hausboot auch ohne solche Komfortextras eine kostspielige Angelegenheit ist. Für die Unterhaltskosten könnte man sich ein Apartment mieten; allein die alle fünf Jahre vorgeschriebene Wartung in der Werft verschlingt locker 20.000 Euro.

All das sollte man bedenken, bevor man plant, Sabine Taucherts verlockendem Vorbild zu folgen und auf den Neckar zu ziehen. Zumal es fraglich ist, ob die Behörden die Ausnahme zur Regel erklären und auf Stuttgarts Gewässer eine Reihenhausbootsiedlung zulassen. Größer erscheint die Chance, dass Sabine Tauchert sich irgendwann von Minato Hatchi trennt.

Zwar sagt sie, dass sie sich sehr darauf freue, endlich mit allen Möbeln in ihren Kahn einziehen zu können, aber im nächsten Moment erzählt sie von ihrem kürzlich erworbenen Land Rover, Baujahr 63, und dem Traum, damit quer durch Afrika zu reisen. Woraus man schließen könnte, dass es Sabine Tauchert eigentlich zu ferneren Ufern zieht als zu einem Liegeplatz in Stuttgart-Hofen.