Wegen der explodierenden Strompreise kommen immer mehr Haushalte in Bedrängnis: In Stuttgart sitzen jährlich etwa 2000 Familien im Dunkeln und Kalten, weil der Energielieferant den Strom abgestellt hat. Die SPD im Gemeinderat sucht Lösungen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - In Stuttgart dürften jedes Jahr bis zu 2000 Familien zeitweise in einer Wohnung ohne Strom leben – sie müssen abends Kerzen anzünden, sie können nicht kochen, und sie haben manchmal nicht einmal warmes Wasser. Die Energieversorger schrecken auch nicht davor zurück, bei Familien mit kleinen Kindern den Strom abzustellen, wenn das Mahnverfahren ins Leere läuft. Die StZ-Weihnachtsaktion „Hilfe für den Nachbarn“ weiß das aus Anträgen; die Aktion verhindert oft in letzter Sekunde die Sperrung des Anschlusses.

 

Genaue Zahlen über die betroffenen Haushalte liegen für Stuttgart nicht vor. Die Bundesnetzagentur hat jetzt aber erstmals bundesweit alle Netzbetreiber (im Bericht Seite 124) befragt. Danach haben die Energieversorger 2011 sechs Millionen Sperrungen angedroht und 312 000 vollzogen. Letzteres entspricht knapp einem Prozent der Anschlüsse. Der Bund der Energieverbraucher geht von mehr als zwei Prozent pro Jahr aus. Rechnet man die offizielle Zahl der Bundesnetzagentur auf Stuttgart herunter, wären dies 2350 Haushalte. Hans-Jörg Groscurth, der Sprecher der Energie Baden-Württemberg (EnBW), betont aber, dass die Quote in Stuttgart „deutlich unter dem Bundeswert“ liege.

In der karitativen Szene in Stuttgart ist man sich jedenfalls einig, dass die Zahl der Stromsperrungen in den vergangenen Jahren zugenommen hat; statistisch belegen lässt sich das aber nicht. Die wachsenden Probleme dürften vor allem an den explodierenden Strompreisen liegen – der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ausgerechnet, dass die Strompreise in Deutschland seit 2005 um 44 Prozent gestiegen seien. Hartz-IV-Empfänger erhalten nur eine Pauschale für Strom; de facto überweise das Jobcenter, je nach Haushaltsgröße, mittlerweile zwischen 60 und 160 Euro im Jahr zu wenig an die bedürftigen Menschen. Diese müssten also an ihren Lebensmitteln knapsen, um die Stromkosten auszugleichen.

Ärmere Menschen haben oft höhere Energiekosten

Daneben tun sich auch viele Menschen mit schwächerem Einkommen schwer, die satten Erhöhungen der Energieversorger aufzufangen. Selbst EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU), der bisher nicht als Verfechter höherer Sozialausgaben aufgefallen ist, hat vor kurzem angemahnt, die Sozialhilfe an die Energiepreise zu koppeln. „Licht im Wohnzimmer und ein Kühlschrank für gesunde Lebensmittel gehören zu einem menschenwürdigen Leben dazu“, sagte Oettinger.

Oliver Rademann von der Stuttgarter Caritas kann das nur unterstreichen. Er hilft ärmeren Menschen dabei, durch eine Prüfung der Haushaltsgeräte und Lichtquellen die Stromkosten zu reduzieren. Dabei hat er festgestellt, dass viele Menschen doppelt belastet sind. Ihnen macht grundsätzlich jeder fehlende Euro im Geldbeutel schwer zu schaffen. Daneben brauchen sie aber oft auch mehr Strom, weil es beispielsweise nur einen Gasofen in der Wohnung gibt und man deshalb mit einem Heizlüfter zuheizen muss oder weil ein Boiler das warme Wasser zubereitet. „Heizlüfter und Boiler sind aber unglaubliche Stromfresser“, sagt Oliver Rademann.

SPD sieht Entlastung von energieintensiven Firmen kritisch

Die Stuttgarter SPD will dieser Entwicklung nicht mehr tatenlos zusehen. In einem Antrag hat sie die Stadtverwaltung aufgefordert zu prüfen, wie man diese Menschen unterstützen könnte. Marita Gröger, die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, könnte sich vorstellen, dass man mit den Energieversorgern verhandelt, damit diese bei bestimmten Voraussetzungen einen vergünstigten Tarif gewähren: „Umgekehrt werden ja auch viele Firmen mit hohem Verbrauch entlastet“, sagt Gröger. Außerdem regt sie an, dass die neuen kommunalen Stadtwerke die Bonuscard akzeptieren und dadurch eine Bezahlung der Schulden einfacher wird.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht noch weiter. Er fordert, dass das Jobcenter die Stromkosten in der tatsächlichen Höhe übernimmt. Das hält Marita Gröger nicht für richtig, weil dann die Menschen keinen Anreiz hätten, möglichst wenig zu verbrauchen: „Bei manchen ist das Energieverhalten ja tatsächlich schwierig.“

Drei Monate vergehen zwischen erster Mahnung und Sperrung

Walter Tattermusch, der Leiter des Sozialamtes, arbeitet gerade am Bericht für den Gemeinderat. Am 22. April soll er im Sozialausschuss vorgestellt werden. Er hält es für schwierig, die Hartz-IV-Empfänger stärker zu unterstützen. Denn der Bund sei nach der jüngsten Erhöhung nicht interessiert an weiteren Diskussionen über die Sozialsätze. Den Stromversorgern könne man kaum hineinreden. Und die Kommune könne nur schwer finanziell in die Bresche springen – aber das müsse der Gemeinderat entscheiden. Tattermusch gibt aber zu bedenken: „Mehr als 60 Prozent der Menschen, die eine Stromnachzahlung nicht bezahlen können, erhalten kein Hartz IV.“

Die EnBW beteuert im Übrigen, dass einer Sperrung ein mindestens dreimonatiges Verfahren vorangehe, in dem den Kunden auch Ratenzahlungen und Stundungen angeboten würden. Die Sperrung selbst ist für die Menschen letztlich auch finanziell der Super-Gau: Denn laut Bundesnetzagentur lassen sich die Energieversorger das Abschalten und später das Anstellen des Stromes mit jeweils bis zu 220 Euro bezahlen. Die EnBW verlangt für die Sperrung 90 Euro, für die erneute Belieferung 107 Euro an Gebühr.

Eine soziale Komponente zum Beispiel für Familien mit Kindern besitzt die EnBW nicht: „Nach unserem Verständnis ist die Liefersperre keine Strafmaßnahme, sondern beugt auch zum Schutze des Kunden einem weiteren Anwachsen der Außenstände vor“, heißt es in einer Rückmeldung.