Das Ringen um Geld hat im Stuttgarter Rathaus hat begonnen. Die Vorlage der Verwaltung zum Haushalt der Stadt ist allerdings konsensfähiger als 2015. Für den Rest haben CDU und Grüne eine Dramaturgie.

Stuttgart - Das Ringen um den Haushaltsplan der Landeshauptstadt für 2018 und 2019 ist eröffnet. Am Donnerstag haben die Gruppierungen im Gemeinderat bei der Aussprache über den Haushaltsentwurf der Verwaltungsspitze klar gemacht, wie sie dem Zahlenwerk noch ihre Handschrift verpassen wollen, ehe es am 15. Dezember beschlossen wird. Hinter den Kulissen sind längst viele Einzelpositionen oder Kompromisslinien vorbestimmt.

 

Die CDU (17 von 60 Sitzen) und die Grünen (14) arbeiten eng zusammen. Auf Feldern wie dem Sozialen oder der Jugendhilfe könne man Wünsche und Aufwand „mit der CDU verlässlich deckeln“, hat die Grünen-Fraktionschefin Anna Deparnay-Grunenberg jüngst gesagt. Das ist tief gestapelt. Tatsächlich haben die beiden Fraktionen mit stundenlagen Gesprächen die Marschrichtung vorgeklärt. Die Basis: Vor zwei Jahren hatten sie erstmals einen Haushaltspakt geschlossen und – aufgrund ihrer Mehrheit im Rat – de facto die meisten Entscheidungen schon vor den Etatberatungen getroffen. Damals fühlten sich kleinere Gruppierungen vor den Kopf gestoßen. Diesmal läuft es subtiler. Michael Conz (FDP): „Wir bekamen das Signal, dass ein Umdenken stattgefunden hat.“

Bezirksrathäuser werden wohl gestärkt

Vor den jetzt beginnenden nicht-öffentlichen Vorberatungen (Erste und Zweite Lesung) im Fachausschuss zeichnen sich aber auch darüber hinaus etliche Schnittmengen ab. So werden mit ziemlicher Sicherheit die Gestaltungsmöglichkeiten in den Bezirksrathäusern erweitert. CDU und Grüne wollen den Bezirken pro Einwohner und Jahr 1,50 Euro zuweisen, damit sie Dinge wie kleine Reparaturen von Gehwegen oder Straßen selbst beim Tiefbauamt bestellen können. Auch Investitionen in Stadtteilzentren, damit dort der Einzelhandel überlebt, liegen einer Mehrheit am Herzen. Die 150 000 Euro, die die Verwaltung für Untersuchungen beantragt habe, seien „ein Treppenwitz“, sagt CDU-Chef Alexander Kotz. CDU und Grüne fordern für Cannstatt, Feuerbach, Untertürkheim, Vaihingen, Weilimdorf und Zuffenhausen stattdessen je 600 000 Euro.

Gute Chancen hat der TV Cannstatt, ein bundesligataugliches Baseballstadion zu erhalten. Große Einigkeit herrscht, dass Verwaltungsvorschläge abgelehnt werden, öffentliche Badezeiten in den Bädern in Feuerbach, Plieningen und Cannstatt wegzukürzen, die Brunnen nur noch sechs statt sieben Monate laufen zu lassen und der Eiswelt auf der Waldau eine längere Schließzeit zu verordnen. Ebenso wird man die Erhöhung der Büchereigebühr verhindern, dafür aber die Säumnisgebühr erhöhen. Im Bereich Musikschule dürfte es mehr Stellen geben. Die Investitionen in Spielplätze und in Kitas sollen höher ausfallen als es die Verwaltung vorsah.

Absehbar ist auch, dass eine Mehrheit deutlich mehr Personalstellen beschließen wird, als die Verwaltungsspitze will (513). Die Zusatzforderungen der Gruppierungen bewegen sich zwischen 28 Stellen (CDU) und 171 Stellen (SÖS/Linke-plus). Zudem gibt es eine breite Bestrebung, befristete Stellen abzuschaffen. Grund: Das schrecke dringend benötigte Bewerber ab. Zudem wird wohl mehr für Fortbildungen getan.

Beim Wohnungsbau gehen Meinungen auseinander

Ganz ohne Tauziehen wird es aber nicht gehen. Wo es um das spezifische Klientel und spezifische Interessen geht, sind sich auch CDU und Grüne uneinig. Da gestehen sie sich zu, fremdzugehen. So möchten die Grünen mit SPD und SÖS/Linke-plus beschließen, dass die Stadt aktiv Grundstücke kauft und anstrebt, künftig 30 000 statt knapp 19 000 Wohnungen zu vermieten. Zudem wollen sie das ehemalige Garnisonsschützenhaus an der Dornhalde im städtischen Eigentum behalten und von Arbeitslosen sanieren lassen. Ebenfalls eine öko-soziale Mehrheit will den Umbau von gut 150 Parkplätzen im Zentrum zu Flanierzonen durchsetzen.

Die CDU möchte mit Freien Wählern und FDP weitere Tempo-40-Zonen auf Steigungsstrecken – weil umweltmäßig „unsinnig“ – verhindern, wird aber wohl unterliegen. Dann wieder mit der SPD will sie alles klar machen, damit die Verbreiterung der Nord-Süd-Straße in Möhringen geplant und vorangetrieben wird. Das dürfte erfolgreich ausfallen. Mit dem Ansinnen, Planungsmittel für einen Wettbewerb von Wissenschaftlern zur Frage von Stuttgarts Mobilität der Zukunft einzustellen und die Zusammenarbeit von Gemeinderäten in der Region zu verbessern, erntete die CDU aber auch Tadel von SPD und Grünen. Motto: Sie sei mit ihrem Latein halt am Ende.

Minderheitenforderungen wie die der Freien Wähler zur sofortigen Senkung der Grundsteuer-Hebesätze werden keinesfalls Erfolg haben. Die CDU ist damit zufrieden, dass diese Hebesätze 2019 gesenkt werden – gemäß einem früheren Beschluss, dass dies passieren muss, wenn die Stadt zwei Jahre zuvor keine Darlehen aufnahm.

Die CDU kritisiert wegfallende Parkplätze

Ein wenig Lob erntete OB Fritz Kuhn (Grüne) von CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, denn Kuhn habe es geschafft „vom Gemeinderat eingeforderte oder einfach auch nur selbstverständliche Themen bereits im Haushaltsplanentwurf einzubauen“. Allerdings sieht Kotz den OB ansonsten „weit entfernt von dem, was seine Bürger bewegt“. Das zeige sich an den Tempo-40-Strecken oder dem „irrsinnigen Entfall von Parkplätzen in der City“. Die CDU wolle gegensteuern und sei auf Konsens mit anderen Fraktionen bedacht. 80 Millionen Euro will die CDU bis Ende 2019 zusätzlich bereitstellen, eingerechnet sind dabei 28 neue Stellen, zum Beispiel für die interkommunale Zusammenarbeit, einen Digitalisierungs- und einen Kulturmanager für die Stadtteile. 3,4 Millionen sollen in eine Bachwasserleitung von Vaihingen bis zur Innenstadt und 23,5 Millionen in die Digitalisierung der Schulen fließen. Die Freitreppe vor dem Wilhelmspalais (6 Millionen Euro) will die CDU rasch umsetzen und Friedrichsbau-Varieté und Jazz Open dauerhaft fördern. Ein Masterplan Mobilität 2030 soll erarbeitet und eine neue Kinder-Sport-Karte mit 50 Euro Guthaben eingeführt sowie die Familiencard (60 Euro) ausgebaut werden. Auch das Budget der Bezirksbeiräte soll steigen.

SPD will das Armutsrisiko senken

Die Kritik der SPD zur Jahresmitte an gigantischen Haushaltsüberschüssen, aber viel zu wenig Personal war deutlich. OB Fritz Kuhn (Grüne) habe darauf reagiert, sagt SPD-Chef Martin Körner. Endlich werde es mehr Personal geben. Bei den Themen Familien, Wohnen und Verkehr müsse der OB „mehr agieren“. Die Mietkosten würden für Familien in Stuttgart inzwischen zum Armutsrisiko, Bauen nur weit draußen in der Region schaffe aber noch mehr Verkehr. Daher fordert die SPD, Familien mit Familiencard die Kitagebühr zu erlassen, den Wohnungsbau „an den Rändern unserer Siedlungsflächen“ aufzunehmen und das Stadtbahnsystem deutlich auszubauen.

FDP drängt auf mehr Service

Mehr Service durch deutlich mehr Personal will die FDP den Bürgern bieten. Dazu seien an die 170 neue Stellen nötig, sagte FDP-Sprecher Matthias Oechsner. Die Stadt vernachlässige ihre Fürsorgepflicht, wenn sie Mitarbeitern immer mehr aufbürde. Auch das Fortbildungsbudget solle angehoben werden, wenigstens auf den Stand von 1999. Bei der Digitalisierung sieht die FDP Nachholbedarf, genauso bei Kreisverkehren und dem Budget, das in der Verantwortung der Bezirke liegt.

AfD will Grundsteuer senken

Die Alternative für Deutschland (AfD) will die Rückführung der Grundsteuer auf den Satz von 2009. Damals war sie um 30 Prozent erhöht worden. „Das ist unser wichtigster Punkt“, sagte Sprecher Bernd Klinger. Für den Sport soll mit der Umwandlung aller alten Plätze in Kunstrasenplätze mehr, bei der Verkehrsüberwachung und der „Überbetreuung“ von Flüchtlingen weniger getan werden. Leute müssten „nicht zwangsweise integriert werden“. Die AfD sieht eine „Gängelungspolitik“ durch Fahrverbote. Sechs in einem Gutachten benannte Stadtteilzentren sollen je 600 000 Euro erhalten, und Weilimdorf soll ein eigenes Freibad bekommen.

Freie Wähler schauen auf Bezirke

Die Fraktion der Freien Wähler (FW) will Prioritäten für Familien und die Stadtteile setzen. „Mitunter drängt sich dem Beobachter der Eindruck auf, Stuttgart bestehe fast nur aus seiner Innenstadt“, sagt die stellvertretende Fraktionssprecherin Rose von Stein. Für die Bezirke sei mehr Personal in den Rathäusern nötig, sie bräuchten Hilfe, um eine lebendige Handels- und Gewerbelandschaft zu erhalten, und für eigene Kulturveranstaltungen. Auch das Programm sauberes Stuttgart dürfe nicht allein auf die Innenstadt begrenzt werden. Die Freien Wähler wollen mehr bauen. Die „maßvolle Ausweisung von Baugebieten auf der grünen Wiese“ sei nötig.

Grüne fordern mehr Nachhaltigkeit

Einen Exkurs in den globalen Prozess der nachhaltigen Entwicklung auf UN-Ebene hat die Grünen-Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg bei ihrer Haushaltsrede unternommen. Die Botschaft für Stuttgart: Was hier geschieht, hat Rückwirkungen auf die Lebensbedingungen an anderen Orten. „Der Stadt geht es ziemlich gut“, so Deparnay-Grunenberg. Aber sie habe einen hohen Verbrauch an Ressourcen. Deshalb steht der Leitgedanke der Nachhaltigkeit über vielen Anträgen der zweitgrößten Fraktion. Nachhaltige Landwirtschaft durch nachhaltige Ernährung zum Beispiel soll gefördert werden, konkret durch 25 Prozent Bio-Essen in den Schulen. Nachhaltige Bodenpolitik bedeute konkret den Ankauf von Schlüsselgrundstücken mit zehn bis 20 Millionen Euro pro Jahr. Und für nachhaltige Mobilität müssten Anreize wie die Zusammenlegung der Stuttgarter Zonen 10 und 20 im Verkehrsverbund (VVS) oder die Elektro-Buslinie in der Stadtmitte gesetzt werden. Das Fahrrad bleibt für die Grünen ein wichtiges, weil nachhaltiges Fortbewegungsmittel. Hier will die Fraktion jährlich 1,1 Millionen Euro zusätzlich in den Etat einstellen, zum Beispiel um auch Radparkhäuser bauen zu können. Insgesamt stellen die Grünen Anträge für 70 Millionen Euro.

SÖS/Linke-plus fordert Spekulationsbremse

Aus Sicht der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus werden der Haushaltsentwurf und der Kurs der Ratsmehrheit nicht Stuttgarts drängenden Problemen gerecht – und nicht der Notwendigkeit, die Stadt „zukunftssicher“ zu machen. Hannes Rockenbauch forderte, weitere 360 Millionen Euro zum Wohnungssektor umzuverteilen und kommunalen Wohnungsbau zu betreiben. Nötig sei eine Spekulationsbremse. Von sofort an dürfe die Stadt kein Grundstück mehr verkaufen. Die neoliberale Ideologie des Kaputtsparens und Outsourcens müsse über Bord geworfen werden. Nach dem Dieselskandal könne auch niemand mehr auf Marktkräfte vertrauen.

Stadtist will technisch aufrüsten

Drohnen für die Feuerwehr, bessere Computerausstattung der Schulen, SSB-Busse, die automatisiert hintereinander fahren: Der Stadtist Ralph Schertlen hat eine Reihe von Vorschlägen für technische Neuerungen eingebracht. Auf teure Kontaktschleifen zur Verkehrszählung könne dank Google verzichtet werden, sagt er. Auch ein Kulturbudget von 80 Cent pro Einwohner für die Stadtteile sei nötig. „Wir sind beim Nesenbach-Monopoly dabei“, so Schertlen.