Der Defizitsünder redet lautstark Neuerungen das Wort, was nicht zuletzt die EU-Kommission milde stimmen und ein Sanktionsverfahren abwenden soll. Das bisher Erreichte stimmt indes wenig optimistisch. Eine Bilanz.

Stuttgart - Am Mittwoch will die EU-Kommission entscheiden, ob sie Frankreichs Haushaltsplan für 2015 akzeptiert oder Nachbesserungen verlangt, ob sie dem Land die Rückkehr zur Stabilität zutraut oder mit einem Sanktionsverfahren droht. Frankreich scheint eine einzige Reformbaustelle. Soziale Errungenschaften, die eben noch als sakrosankt galten, werden von Regierungschef Manuel Valls auf den Prüfstand gestellt: Die im europäischen Vergleich großzügige Arbeitslosenunterstützung, das starre Arbeitsvertragsrecht, die international als vorbildlich geltenden Familienbeihilfen – nichts dürfe mehr tabu sein, fordert der Premierminister. Was nicht heißt, dass das lautstark als erneuerungsbedürftig Ausgewiesene auch samt und sonders erneuert wird. Vielleicht hat es mit dem Baustellenlärm ja bereits sein Bewenden. Schon dieser allein könnte Frankreich vor Schlimmem bewahren, wenn er bis nach Brüssel und Berlin dringt und dort auf offene Ohren stößt.

 

Der in die französische Nationalversammlung eingebrachte Budgetentwurf weist ein Defizit von 4,3 Prozent aus, womit die einst im Einvernehmen mit Frankreich eingeführte Drei-Prozent-Marke deutlich verfehlt wird. Mit geplanten Einsparungen von 21 Milliarden im 1200 Milliarden Euro schweren Budget sei der finanzielle Spielraum des Landes ausgeschöpft, versichert die Regierung. Womit sie nur noch darauf setzen kann, dass die lautstark bekundete Reformbereitschaft eine Rückkehr zu stabilen Verhältnissen glaubhaft erscheinen lässt und Brüssel sowie die als Fürsprecherin umworbene Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Einsehen haben. Im Fall der Arbeitslosenversicherung ist der Reformbaustellenlärm besonders laut. „Ein Defizit von vier Milliarden Euro, welcher verantwortliche Politiker kann das hinnehmen?“, hat der Premier gefragt und die im EU-Vergleich großzügige Unterstützung als „politische Entscheidung für gut entschädigte Massenarbeitslosigkeit“ gegeißelt. Doch so entschlossen sich Valls auch zeigt, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind von den Sozialpartnern bis 2016 abschließend geregelt geworden und stehen, wie Staatschef François Hollande klargestellt hat, nicht auf der Agenda.

Kaum eine Reform hat Aussicht auf Verwirklichung

Auch die vom Premier angeregte Arbeitsrechtsreform, die der Dualität zwischen prekären befristeten Jobs und stark abgesicherten unbefristeten Arbeitsverhältnissen ein Ende machen und den Einheitsarbeitsvertrag bringen soll, hat kaum Aussicht auf Verwirklichung. „Die Sozialpartner halten nichts davon“, musste Valls feststellen. Dass der jüngst gekürte Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole das Vorhaben befürwortet, das Bewegung in den von wenigen Abgängen und noch weniger Neueinstellungen gezeichneten Arbeitsmarkt des Landes bringen soll, ändert nichts daran. Dass die Arbeitslosigkeit auf elf Prozent gestiegen ist, auch nicht.

Steuerliche Entlastungen von Familien mit Kindern bleiben

Was freilich die Familienbeihilfen betrifft, so hat die Regierung Ernst gemacht. Einsparungen von 800 Millionen sind im Etat 2015 ausgewiesen. Das Kindergeld wird künftig nicht mehr einkommensunabhängig gewährt. Wohlhabende Haushalte bekommen weniger. Ab 6000 Euro Nettoeinkommen im Monat gibt es nur noch die Hälfte, ab 8000 Euro ein Viertel. An der tragenden Säule der als vorbildlich gerühmten französischen Familienförderung aber wird nicht gerüttelt: Die im EU-Vergleich äußerst großzügige steuerliche Entlastung von Familien mit Kindern bleibt bestehen.In die Tat umgesetzt ist auch die Vorzeigereform des Staatspräsidenten. Das Parlament hat den „Pakt der Verantwortung“ abgesegnet. Er sieht Steuerentlastungen für Firmen vor, die sich in den nächsten drei Jahren auf 40 Milliarden Euro summieren. Sie sollen die im internationalen Wettbewerb weit zurückgefallene französische Wirtschaft konkurrenzfähiger machen. Ebenfalls erfolgreich über die parlamentarischen Hürden gehievt hat die Regierung eine Rentenreform, die freilich weit davon entfernt ist, die Altersversorgung auf eine solide Basis zu stellen. So bleibt es beim Renteneinstiegsalter von 62 Jahren, das im Fall besonders langer Lebensarbeitszeit sogar auf 60 Jahre herabgesetzt wurde. Die Zahl der zum Bezug der vollen Rente berechtigenden Beitragsjahre steigt stufenweise von zurzeit 41 auf 43 Jahre. Die erste Schwelle (41,5 Jahre) wird aber erst 2020 erreicht, die letzte (43 Jahre) dann 2030. Noch nicht ins Parlament eingebracht, aber auf gutem Wege scheint ein Gesetz zur Beseitigung wirtschaftlicher Blockaden. Es zielt darauf ab, staatlich reglementierte und letztlich privilegierte Berufe wie den des Gerichtsvollziehers, Notars oder Apothekers verstärkter Konkurrenz auszusetzen. Auch soll Sonntagsarbeit künftig in größerem Umfang zulässig sein als bisher. Um Einzelheiten wird allerdings noch gerungen.

Gebietsreform kommt voran

Auch die Gebietsreform kommt voran. Anstatt 22 Regionen wird es vom 1. Januar 2016 an nur noch 13 geben. Die Regierung erhofft sich Einsparungen von bis zu zehn Milliarden Euro. Was nicht heißt, dass die Verwaltungsstrukturen des Landes nicht weiterhin enorme ungenutzte Sparpotenziale aufwiesen. Der Plan, dem von den Franzosen spöttisch „Blätterteig“ genannten vielschichtigen Staatsaufbau zu Leibe zu rücken und die neben Gemeinden, Gemeindeverbänden, Kantonen und Regionen existierenden Departements abzuschaffen, ist nach heftigem Widerstand betroffener Provinzfürsten wieder in der Schublade verschwunden. Womit Frankreich pro 1000 Einwohner noch immer fast doppelt so viele Beamten beschäftigt wie Deutschland.

Es bedarf weiterer Reformen

Alles in allem scheinen die verwirklichten oder auf den Weg gebrachten Reformen weit davon entfernt, den erhofften „Wachstumsschock“ auszulösen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geht davon aus, dass die Neuerungen dem Land ein Plus von 0,4 Prozent bringen werden. Womit es nicht gut um Frankreichs Chancen steht, die EU-Kommission milde zu stimmen. Letztlich bleibt Paris wohl nur die Hoffnung, dass die über die Vertragstreue der EU-Mitgliedsstaaten wachenden Kommissare es nicht wagen werden, einen Konflikt mit Frankreich vom Zaun zu brechen – dem wirtschaftlich zweitwichtigsten Land und Mitbegründer der Gemeinschaft. Ein Sanktionsverfahren bliebe Frankreich damit erspart. Um weitere, tiefergreifende Reformen kommt das Land aber nicht herum.