ZDF Neo zeigt die BBC-Erfolgsserie „Call the Midwife“. Dabei werden Geburten realitätsnah gezeigt. Also ist auch Blut zu sehen.

Stuttgart - Diese Serie ist nichts für Weicheier. Hier geht es nämlich ausnahmsweise einmal nicht um Mord und Totschlag, an die zum Krimigenre gehörenden Plots und Geschichten hat sich der deutsche Fernsehzuschauer ja durch Dauerberieselung längst bis zur Abstumpfung gewöhnt. Stattdessen stehen Steißgeburten und Schwangerschaftsvergiftungen im Mittelpunkt, man hantiert nicht mit Knarren und Springmessern sondern mit Klistieren und Nabelschnurzwickern.

 

Es fließt viel Blut, aber auch Urin und Fruchtwasser in der Serie. „Call the Midwife“, die inzwischen in 200 Weltregionen, und von diesem Freitag an bei ZDF Neo in Doppelfolgen läuft. Den englischen Titel beließ man wahrscheinlich weil sich „Ruf die Hebamme“ längst nicht so cool anhört wie das Original und weil dadurch die internationale Wiedererkennbarkeit größer ist. „Mad Men“ heißt bei dem deutschen Sender ja auch nicht „Verrückte Männer“.

Auf der Insel sind die knapp einstündigen Episoden Straßenfeger, „Call the Midwife“ ist die seit 2001 erfolgreichste Produktion der an Erfolgen nicht armen BBC. Sie hat viele internationale Preise gewonnen, gerade wird die fünfte Staffel gedreht. Fans von Downton Abbey mögen sie meist auch. Erstaunlich eigentlich, wenn man sich den Inhalt anschaut.

Jenny kennt keine feuchten Wohnungen

Denn die Hauptfigur, die junge Jenny Lee, gespielt von Jessica Raine, kommt in den fünfziger Jahren als frisch examinierte Krankenschwester und Hebamme in das von Schwestern geleitete Nonnatushaus im Londoner East End, damals ein Armenviertel. Von Elend, feuchten Wohnungen und Großfamilien hat die Tochter aus besserem Hause bis dahin keine Ahnung gehabt, dennoch stellt sie sich den auf sie zu kommenden Aufgaben entschlossen und sensibel. Gleich in der ersten Folge lernt sie nicht nur die auf sehr unterschiedliche Weise eigenartigen Nonnen kennen, mit denen sie künftig arbeiten wird. Sie muss mit ihren weltlichen Kolleginnen eine durch Gehirnerschütterung benebelte Spanierin von deren 25. Kind entbinden, eine Syphilis behandeln und einen heißen Einlauf verabreichen. Und das alles, während um sie herum rotznasige Kinder toben, Männer nach Bier verlangen und die hygienischen Bedingungen jeder Beschreibung spotten.

Verbürgt ist dieses Ambiente durch die dreibändigen Memoiren der 2011 verstorbenen Krankenschwester, Hebamme und Musikerin Hebammen, die „Call the Midwife“ zu Grunde liegen. Sie hat am Ende ihres langen, aufreibenden Berufslebens Geschichten aus ihrem Erfahrungsschatz gemacht, in denen sie das Elend der Unterschicht und die Not der Frauen zwar nicht verleugnet, aber auch von Liebe und Solidarität, toller Zusammenarbeit unter Kollegen und dem von ihr ziemlich idealisierten Zusammenwirken innerhalb der englischen Klassengesellschaft vergangener Tage erzählt. Was, so unterschiedlich die beiden Soaps auch sind, einen Bogen zu „Downton Abbey“ schlägt. Auch in Sachen Dekor und Kostüme muss sich das „Period Drama“ aus der Nierentisch-Epoche, in dem juristische Fragen ebenso eine Rolle spielen wie medizintechnische Neuerungen, und traumatisierte Eltern und Kinder ebenso vorkommen wie rassistische Vorbehalte und illegale Abtreibungen, nicht hinter Julian Fellows sorgfältig ausgestatteter Adels-Saga verstecken.

Und anscheinend wird „Call the Midwife“ auch von echten Hebammen als „sehr realitätsnah“ empfunden. „Hier liegen Frauen nicht auf dem Rücken, drücken kräftig, und plopp ist das Kind da“, hat eine Geburtsbegleiterin geäußert, und man kann ihr nur zustimmen. Wie im Leben wird in den bisher rund 20 Folgen ausführlich geschrien und gezittert, gehechelt und geflucht, und bei allem Elend immer wieder die große Gefahr und die überwältigende Schönheit gezeigt, die den Moment der Geburt eines Menschen umgibt.

Tollpatschig aber sehr begabt

Natürlich ist das manchmal kitschig, all diese rosigen, frisch gewaschenen Babys, die strahlenden Mütter, die erschöpften, große Verantwortung tragenden Helferinnen. Bei all dem Kitsch, mit dem Männer ihre Heldentaten seit Jahrhunderten medial verbrämen, ist es aber auch mal höchste Zeit, Frauen zuzugestehen, dass um ein Thema, das körperlich vor allem sie angeht, Legenden geschmiedet werden.

Die angesehene TV-Produzentin Pippa Harris hat das nach einer Idee von Heidi Thomas möglich gemacht, neben den leicht ironischen Drehbüchern trägt die Besetzung mit sehr unterschiedlichen Schauspielerinnen zum interessanten Gesamteindruck bei. Wann bekommt man im Fernsehen schon einmal eine 1.90 Meter große, schwergewichtige Akteurin wie Miranda Hart zu sehen, die für ihre Rolle als zunächst etwas tolpatschige aber überaus begabte Hebamme Chummy Noakes inzwischen mehrere Preise gewonnen hat? Aus dem Off wird die Serie rückblickend von der Buchautorin Jennifer Worth kommentiert, in der Originalfassung spricht Vaneesa Redgrave, in der deutschen Synchronisation Judy Winter ihre altersweisen Zeilen wie etwa diese „Liebe brachte Leben in die Welt und zwang Frauen in die Knie“.