Michael Kiefer hat sich mit Syrern aus der Unterkunft gegenüber angefreundet: Sie sind eine Bereicherung, findet er. Nun wirbt er mit einer Postkartenaktion dafür, mit den Neuankömmlingen zu reden.

Heilbronn - Es war eigentlich nur ein Nachbarschaftsdienst. Als Michael Kiefer in diesem Sommer mit seiner Familie für zehn Tage in den Urlaub fuhr, bat er seinen Freund, in dieser Zeit die beiden Kaninchen zu versorgen und den Briefkasten zu leeren. Der Heilbronner zeigte seinem Freund, was zu tun sei, gab ihm den Haus- und den Wohnungsschlüssel und fuhr weg. Alles selbstverständlich soweit. Die anderen Nachbarn konnten es trotzdem nicht fassen. Denn Michael Kiefers Freund heißt Rasul Mohammad, stammt aus Syrien – und wohnt seit Oktober im Flüchtlingsheim gleich gegenüber.

 

„Wir pflegen ein normales nachbarschaftliches Miteinander“, sagt der 52-jährige Kiefer. Über seine Tochter hat er selbstständige Werbefachmann Kontakt zu den Flüchtlingen bekommen und sich mit einigen angefreundet. Anfangs verständigte man sich auf Englisch, mittlerweile wird Deutsch geredet. Kiefer half, als ein Arzt gebraucht wurde oder bei der Jobsuche. Das sprach sich herum. Wann immer es Probleme gab, etwa weil Kinder aus dem Heim einen Kirschenbaum geplündert haben, kamen die anderen aus der Straße zu Kiefer. „Ich wurde als Sprachrohr benutzt, um Unangenehmes anzusprechen.“

Miteinander statt nebeneinander

Das wird ihm nun zu bunt. „Diese Berührungsängste helfen niemandem weiter“, sagt der 52-Jährige. „Wir müssen miteinander reden.“ Der Werber hat ein Foto von sich und seinen syrischen Freunden Rasul Mohammad und Jankiz Abd Alkader auf dem Wartberg 10 000 Mal als Postkarte drucken lassen, um für eine bessere Verständigung untereinander zu werben. Vom Tag der deutschen Einheit am Montag an will er die Postkarten in der Stadt verteilen. In Heilbronn gibt es mehr als 60 Unterkünfte, in denen zurzeit 1309 Menschen untergebracht sind.

„Klar habe ich ein bisschen Mut gebraucht, um auf meine neuen Nachbarn zuzugehen“, heißt es auf der Karte. „Aber wenn aus einem Nebeneinander ein Miteinander wird, gewinnen wir alle.“ Er respektiere es, wenn andere Berührungsängste hätten. „Was ich nicht mehr respektiere, sind unreflektierte, fremdenfeindliche Sprüche hinter vorgehaltener Hand.“

Hoffen auf Frieden

Zu Wort kommen auch seine syrischen Freunde. „Als ich erfahren habe, was am 4. Dezember 1944 in Heilbronn geschehen ist, war ich betroffen über die hohe Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung“, schreibt der 29-jährige Englischlehrer Rasul Mohammad. Bei einem Bombenangriff starben in jener Nacht mehr als 6500 Menschen, die Altstadt wurde dem Boden gleich gemacht. Heute sei Heilbronn eine schöne, lebendige und friedliche Stadt. „Das schenkt mir Hoffnung, dass auch Aleppo eines Tages wieder ein Ort ist,an dem die Menschen in Frieden leben.“ Dem Leben widmet sich auch der Bauunternehmer Jankiz Abd Alkader (35). „Ich habe überlebt. Und ich bin dankbar, dass ich in Heilbronn aufgenommen wurde“, schreibt er. Die Begegnung mit netten Nachbarn helfe ihm zu versuchen, nach vorne zu schauen: Denn die schlimmen Erinnerungen seien wie Bleigewichte – „sie lassen sich nicht so einfach abschütteln“.

Schon Kiefers Broschüre war erfolgreich

Michael Kiefer, der dem Gesamtelternbeirat Heilbronner Kindergärten (GEB) angehört, hat auch die Broschüre „Tinka und die Flüchtlinge“ gemacht, in der die Flüchtlingsproblematik Kindern erklärt wird. Alle Kinder ab fünf Jahren, die eine der 96 städtische Betreuungseinrichtungen besuchen, bekamen Ende des vergangenen Jahres eines der 20-seitigen Hefte geschenkt. Bald fragten auch die Grundschulen an. Mittlerweile wird „Tinka und die Schützlinge“ auch in Schulen in Sinsheim, Heidelberg, Stuttgart, Böblingen, Sindelfingen, Ravensburg, Friedrichshafen, Konstanz, Lahr und Berlin gelesen.