Türkische Forscher wollen die Gebeine des Heiligen Nikolaus gefunden haben. Doch es könnte sein, dass nicht die Forschung der eigentliche Antrieb ist, sondern der Wunsch, den Tourismus wieder anzukurbeln.

Istanbul - Der Nikolaus kommt nicht zur Ruhe. Knapp tausend Jahren, nachdem die Gebeine des Heiligen von italienischen Seefahrern aus seiner Heimatstadt in der heutigen Türkei geraubt wurden, reisten die Knochen in diesem Sommer von Italien nach Moskau und Sankt Petersburg, um von Millionen russischen Gläubigen bestaunt zu werden. Die Reliquien sind gerade zurück in ihrer Basilika im süditalienischen Bari, da melden türkische Forscher aus der ursprünglichen Heimatstadt des Heiligen am Mittelmeer, das seien gar nicht die wahren Gebeine: Die echten Knochen von Sankt Nikolaus, so glauben die türkischen Kulturbehörden entdeckt zu haben, befänden sich nämlich noch immer in einer Krypta unter der historischen Nikolauskirche von Myra, dort, wo er einst Bischof war.

 

Die Denkmalschutzbehörde der südtürkischen Provinz Antalya verkündete jetzt die frohe Botschaft. Mit geologischen Schichtaufnahmen und Bodenradar arbeiteten Wissenschaftler seiner Behörde seit Monaten in der historischen Nikolauskirche von Demre – wie Myra heute heißt –, erklärte der Behördenchef Cemil Karabayram der türkischen Presse. Dabei hätten sie die Sensation entdeckt: „Unter dem Kirchenboden befindet sich ein unversehrter Schrein. Wir gehen davon aus, dass darin die Gebeine des Heiligen Nikolaus enthalten sind.“ Die Arbeiten stünden freilich erst am Anfang. Acht Experten unterschiedlicher archäologischer Fachrichtungen habe seine Behörde abgestellt. Weil das Grab unter dem kostbaren Mosaikboden der Kirche vermutet wird, die ihrerseits aus dem sechsten Jahrhundert stammen soll, kommen zunächst Experten für antike Mosaiken zum Zuge. Sie sollen den Boden fachgerecht abtragen und konservieren, damit dann unter der Kirche gegraben werden kann.

Eine historische Erklärung hat Karabayram auch parat. Das Grab des Nikolaus sei verschüttet worden, als die Kirche bei einem Erdbeben im Jahr 529 einstürzte, spekuliert der Denkmalschützer. Die heutige Kirche sei dann über den Trümmern und damit auch über dem Grab errichtet worden, dessen Existenz fortan geheim gehalten wurde, um Grabräubern vorzubeugen. Den italienischen Seefahrern, die 1087 die Gebeine raubten, hätten die Mönche von Myra einfach die Knochen eines anderen Toten gegeben, vermutet Karabayram. Innerhalb der nächsten Monate hofft der Denkmalschützer, das Grab zu öffnen und Nikolaus darin zu finden. „Wenn sich das als richtig erweist, dann bekommen Sie hier in Demre kein Zimmer mehr“, frohlockt er – und lässt damit auch die Antriebsfeder seiner Begeisterung für den christlichen Heiligen erahnen.

Touristen aus dem Westen meiden die Türkei

Der Tourismus in Antalya war im vergangenen Jahr schwer eingebrochen, als deutsche Urlauber und andere Westeuropäer wegen der Politik des türkischen Präsidenten Recep Erdogan plötzlich ausblieben. Die Besucherzahl halbierte sich gegenüber dem Vorjahr, viele Hotels blieben leer oder machten gar nicht erst auf, tausende Saisonarbeiter verloren ihre Jobs. Inzwischen erholt sich die Fremdenverkehrsindustrie an der türkischen Riviera wieder. Dank der russischen Touristen, die in Rekordzahlen nach Antalya strömen. Bis zum 30. September kamen in diesem Jahr fast 3,4 Millionen russische Urlauber in die türkische Tourismushochburg. So viel wie noch nie zuvor.

Eine besondere Attraktion ist dabei neben Sand und Sonne die Kleinstadt Demre mit ihrer Nikolauskirche, denn der Heilige Sankt Nikolaus spielt im orthodoxen Glauben der Russen eine besonders Rolle. Die Besucherzahl in der Kirche und die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern haben sich dank des Zulaufs in diesem Jahr bereits verdoppelt. Mit einer echten Nikolaus-Reliquie wäre vielleicht noch mehr drin: Als die Gebeine aus Bari in Russland gezeigt wurden, standen innerhalb von zwei Monaten mehr als zwei Millionen orthodoxe Gläubige teilweise stundenlang vor der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und dem Alexander-Newski-Kloster in Petersburg an, um an der Nikolaus-Reliquie zu beten. Schließlich gehören Nikolaus-Ikonen in vielen russisch-orthodoxen Kirchen zum Inventar.

Der Heilige wird freilich nicht nur von der Orthodoxie verehrt, sondern von der gesamten Christenheit, lebte und wirkte er doch lange vor der Kirchenspaltung. Vermutlich im Jahr 270 in der anatolischen Hafenstadt Patara geboren, soll Nikolaus in jungen Jahren vom römischen Kaiser Diokletian wegen seines christlichen Glaubens verfolgt worden sein. Als erster Bischof von Myra machte er sich im vierten Jahrhundert durch Wundertaten und Hilfe für die Schwächsten der Gesellschaft einen Namen. Die Grundlage für seinen bis heute andauernden Ruhm legte der Bischof mit seiner Mildtätigkeit und seiner Hilfe für die Armen. Der Legende nach warf er unerkannt Säckchen voller Geldmünzen durch die Schornsteine der Häuser, um den Töchtern der Armen zu einer Aussteuer zu verhelfen und ihnen damit eine Eheschließung zu ermöglichen. Weil er die jungen Frauen damit vor der Prostitution rettete, wurde Sankt Nikolaus unter anderem zum Schutzheiligen der Jungfrauen. Die Vorstellung, dass Geschenke durch den Schornstein ins Zimmer sausen, hat sich besonders im anglo-amerikanischen Kulturkreis bis heute gehalten.