Arte zeigt in einer digital restaurierten Fassung sämtliche Folgen der gefeierten „Heimat“-Serie von Edgar Reitz. Zum Auftakt läuft sein preisgekrönter Spielfilm „Die andere Heimat“.

Stuttgart - Gäbe es einen Erkennungssatz für die Serie, dann wäre es vielleicht dieser: „Dat is doch der Paul“, sagen die Frauen im Hunsrückdorf Schabbach, als sie einen abgezehrten Mann kommen sehen. Ja, das ist der Paul. Er hat es 1919 aus einem Kriegsgefangenenlager nach Hause geschafft, und mit seinem Erscheinen wurden die Fernsehzuschauer anno 1984 hineingesogen in ein elfteiliges Epos, wie es auf dem Bildschirm noch nicht vorgekommen war. Es geht um Schicksal und Verantwortung, um die Bindung an Orte und Vergangenheiten und den ewigen Kampf zwischen Weggehenmüssen und Dableibenwollen. Im Mittelpunkt stehen die Mitglieder der Familie Simon im fiktiven Ort Schabbach im Hunsrück, ihre Ehen und Kinder, Arbeit und Unfälle, die kleinen Geschichten, in denen die große Geschichte widerhallt. Drei „Staffeln“ hatte das dokumentarisch inspirierte Großprojekt am Ende und umspannte ein ganzes Jahrhundert.

 

Mit „Heimat“ hat der Regisseur Edgar Reitz zweifellos TV-Geschichte geschrieben. Seine romanhafte Erzählweise nahm einiges vorweg, was im vor allem amerikanischen Serienboom des neuen Jahrtausends zu Ehren kommen sollte: den langen Atem, die verzweigten Personenbeziehungen, die undramatischen Spannungsbögen zum Beispiel. „In dem Moment, wo ich meine Geschichten zuspitze oder überhöhe“, sagte der Regisseur vor zwei Jahren, „verlieren sie jede Verbindung zum Leben.“

Da stellte er in München gerade „Die andere Heimat“ vor, seinen Kinofilm, mit dem er in die Zeit vor seiner „Heimat 1“-Phase zurückgereist war, in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Arte sendet das vielfach ausgezeichnete Werk an diesem Mittwochabend in zwei Teilen. In kunstvollem Schwarzweiß und vier Stunden Länge zeigt Reitz, wie es in Schabbach zugegangen sein mag, als Not und Willkür der Obrigkeit Tausende in die Emigration trieben. Auch die Brüder Gustav und Jakob Simon, Paul Simons Vorfahren, spielen mit dem Gedanken, nach Südamerika auszuwandern. Am Ende wird einer losreisen und einer bei den Eltern und der heimischen Schmiede bleiben.

Selbst Kenner werden überrascht sein

Ein Historienschinken ist das nicht, eher eine Mentalitätsstudie im historischen Gewand. „Man schaut, wenn man sich mit der deutschen Auswanderung beschäftigt, anders auf all die zugewanderten Menschen auf unseren Straßen“, erklärte der 1932 geborene Regisseur bei der Premiere. Das kann nicht schaden in diesen schwierigen Zeiten, und auch die Wiederbegegnung mit den elf Teilen von „Heimat – Eine deutsche Chronik“, die dann ab Donnerstag jede Woche auf Arte möglich ist, lohnt sich.

Selbst Kenner werden dabei Überraschungen erleben, denn nachdem sich 2005 herausgestellt hatte, dass keine einzige abspielbare Kopie des Klassikers mehr existierte, unterstützten die Kulturstiftungen von Rheinland-Pfalz und des Bundes die digitale Restaurierung der Originalnegative. 1,5 Millionen Einzelbilder wurden dabei neu erschaffen, mancher Farbton oder Hintergrund aus der Erinnerung rekonstruiert – und damit verändert. Anhand dieser runderneuerten Fassung lässt sich nun noch einmal nachvollziehen, wie Maria Simon von Paul zur zweifachen Mutter gemacht wird, bevor er sie mit dem Ziel Amerika verlässt. Man erlebt, wie die nicht nur feine Verwandtschaft den Nationalsozialismus und den Krieg erlebt, und wie „dat Hermännsche“, Marias dritter Sohn, den sie von einem anderen Mann hat, in der Wirtschaftswunderzeit zu einem experimentellen Musiker heranreift.

Vor allem aber zeigt sich aus dem historischen Abstand, die Sensibilität, mit der Edgar Reitz den Verwerfungen der deutschen Vergangenheit nachspürte – Jahre vor der deutschen Wiedervereinigung und dem Beginn der Globalisierung. Er erzählt, wie die Veränderungen sich auf dem platten Land und bei einfachen Leuten zeigen, mit anderen Worten: wie wir wurden, was wir sind. Und wie seither unaufhörlich die Zeit vergangen ist. Der Gastwirt Rudi Molz in „Heimat 3“ sagt es so: „Dat kommt nie wieder.“