Die Degerlocher fühlen sich wohl in ihrem Bezirk. Rolf Armbruster, dessen Familie seit vier Generationen hier lebt, erklärt, warum das so ist.

Degerloch - Rolf Armbruster wirft einen Blick auf die Stadtkarte. Aus der Vogelperspektive sei gut zu erkennen, warum sich die Degerlocher in ihrem Stadtbezirk so wohlfühlten. Der Ort ist umgeben von Wald, Weinbergen, Wiesen und Feldern. Dort erholen sich nicht nur die Degerlocher. Der Wald oder das Landschaftsschutzgebiet Ramsbachtal sind auch für Ausflügler beliebte Naherholungsziele.

 

„Schon Herzog Carl Eugen hat im Ramsbachtal Treibjagden veranstaltet“, erzählt der Architekt. Seine Familie lebt in der vierten Generation in Degerloch. Der Ur-Großvater war von Möhringen übergesiedelt wie viele andere aus dem Nachbarbezirk zuvor auch. So ist Degerloch entstanden. Armbruster, CDU-Bezirksbeirat und Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins (HGV), identifiziert sich stark mit dem Ort. Und wie ihm geht es vielen in dem Bezirk auf dem Stuttgarter Kesselrand – sie sind mit ihrer Wohngegend sehr zufrieden.

Dabei galt Degerloch früher als Armenhaus, weil es an Äckern und Feldern mangelte. Der Aufstieg begann mit der Anbindung an die Stadt. 1831 wurde die Neue Weinsteige unter dem Baumeister Eberhard von Etzel eingeweiht. Bis dahin war es beschwerlich gewesen, aus dem Kessel den Berg hochzukommen. Mit der Neuen Weinsteige war der Weg deutlich leichter und die Städter merkten schnell, dass auf der Höhe die Luft und die Wohnqualität besser sind. „Damals hat es in der Stadt gestunken, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen kann“, so Armbruster.

Ende des 19. Jahrhunderts entsteht das Villenviertel

Degerloch wurde zum Luftkurort. Das 1903 gegründete Luftbad existiert heute noch als Verein, der Grieche im Grünen hat dort sein Restaurant. Eines der Sanatorien entstand an der Löwenstraße 100, heute befindet sich dort ein Architekturbüro. Direkt gegenüber baute Wilhelm Bleyle, Gründer der gleichnamigen Firma für Matrosenanzüge, seine riesige Villa auf einem Grundstück, auf dem heute vier Wohnhäuser stehen, die noch große Gärten haben. „Wir haben relativ viel Platz zum Wohnen“, sagt Armbruster. Viele reiche Fabrikanten machten es wie Bleyle. In den 1880er Jahren begann das bis heute erhaltene Villenviertel zu wachsen. „Die armen Degerlocher dienten als Angestellte“, sagt der 51-Jährige. Sein Ur-Großvater Karl Scheffel selbst war Goldschmied und Hausdiener bei einem Juwelier. Allerdings arbeitete er unten in der Stadt.

Nach Degerloch war Karl Scheffel von Möhringen gezogen, nachdem sein erstes Kind an verunreinigtem Wasser gestorben war. „Degerloch hatte damals schon eine eigene Wasserversorgung“, erzählt Rolf Armbruster. Das Haus baute der Ur-Großvater an der Gomaringer Straße, die damals noch Möhringer Straße hieß. Armbrusters Architekturbüro, das sein Vater gegründet hat, befindet sich nur wenige Meter von dem Haus seiner Vorfahren entfernt. „Das Haus lag nahe an der Ortsgrenze zu Möhringen, weil der Ur-Großvater die Nähe zur Verwandtschaft beibehalten wollte.“ Die Grenze verlief an der heutigen Kreuzung Alb- und Gomaringer Straße „Der Bauer Straiff, dessen Nachkommen dort noch ihren Hof haben, war der Grenzwächter.“

Ein Meilenstein für Degerloch war auch die Einweihung der Zahnradbahn im Jahr 1884. Spätestens seitdem gilt der Bezirk als das Tor zur Stadt. Ein Ruf, der seinen Preis hat. Täglich schieben sich tausende von Fahrzeugen über den Albplatz. „Das tangiert uns im Ortskern aber nicht so sehr“, sagt Rolf Armbruster.

Viele Fachgeschäfte existieren seit Jahrzehnten

Um das weiße Bezirksrathaus, das 2006 grundsaniert wurde, steht das Ensemble aus Michaelskirche, der Alten Scheuer und dem Helene-Pfleiderer-Haus, die zu den ältesten Gebäude zählen. Sie bilden den Ortskern. Daran grenzt direkt die Einkaufstraße. Entlang der Epplestraße, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg Tübinger Straße hieß, existieren Filialisten und Fachgeschäfte nebeneinander. „Viele Geschäfte wie der Beilharz, der Elektro Reihle oder der Schuhhaus Schmidt gibt es schon seit Jahrzehnten“, sagt der HGV-Vorsitzende.

Verschönert hat der Verein die Einkaufsstraße und den Lindenplatz mit Blumenbeeten. Es sei nicht so, dass jeder Degerlocher selbst begeistert zum Spaten greife, aber sie würden es honorieren, sagt Armbruster schmunzelnd. „Der Degerlocher liebt seinen Lebensstandard und manche tun viel dafür, dass dieser hoch bleibt.“ Der so genannte Trading-Down-Effekt habe im Ort noch nicht eingesetzt und dies sei auch auf den Zusammenhalt zurückzuführen. So habe man beispielsweise gemeinsam eine Spielhalle im Berolina-Haus abwehren können. „Gemeinschaftssinn und Nachbarschaftshilfe sind spürbar im Ort. „Wenn jemand ein Problem hat, gibt’s immer einen, der die Ärmel hochkrempelt und die Sache angeht“, sagt Armbruster.

Ein ausgewogener Stadtbezirk mit zufriedenen Bewohnern

Dass die Zufriedenheit der Degerlocher so hoch ist, wie es die Bürgerumfrage ergeben hat, führt der Architekt auf die Ausgewogenheit des Bezirks zurück und macht dies an den unterschiedlichen Gegenden fest. Neben der Villengegend, die den Haigst einbezieht, gehört auch die einstige Arbeitersiedlung Hoffeld dazu. „Die Leute sehen sich in erster Linie als Hoffelder, aber in zweiter Linie als Degerlocher“, sagt Armbruster. Daneben gibt es noch die Wohngegend rund um die Schöttlestraße, die Neu-Berlin genannt wird, seit dort nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlingswohnheime gebaut wurden. So verschieden die Stadtteile sind, so verschieden sind die Leute. „Die Gebiete sind im Gleichgewicht und zusammen ergeben sie ein homogenes Bild.“ Dass Degerloch manchmal als Bonzenviertel bezeichnet wird, lehnt der Architekt strikt ab. „Das ist unser Stadtbezirk nicht.“