Hans-Peter Stockfleth wohnt seit 1961 auf dem Fasanenhof. Er hat die Entwicklung des Stadtteils miterlebt.

Stuttgart-Möhringen - Der Motor der Suzuki röhrt. Die maronenfarbene Lackierung glänzt in der Herbstsonne. Der Chopper ist Hans-Peter Stockfleths ganzer Stolz. Wann immer er Zeit hat und das Wetter es erlaubt, unternimmt der 51-Jährige eine Spritztour. Stockfleth ist das, was man optisch einen Rocker nennen könnte: Bärig, bärtig, tätowiert.

 

An diesem Nachmittag auf der Terrasse der Vereinsgaststätte der Gartenfreunde Fasanenhof trägt er eine schwarze Lederhose, Bikerboots und ein T-Shirt, auf dem in fingergroßen Lettern „Old School Biker Filderstadt“ steht. „Das ist mein Verein“, sagt Stockfleth. Ein ehemaliger Schulkamerad von ihm ist dort Vorsitzender. Eine Hierarchie, wie man sie aus anderen Clubs kennt, gibt es nicht. Seine Bikerweste, die – so lautet die Regel – nicht gewaschen werden darf, ist über und über voll mit Emblemen, die im Fachjargon Patches genannt werden. „Die habe ich von verschiedenen Treffen“, erzählt Stockfleth. Wenn er könnte, würde er seine Weste in der Freizeit nicht ablegen. „Aber es gibt eben Anlässe oder Termine, da ist es besser, sich anders anzuziehen.“

In der Vereinsgaststätte am Rande des Gewerbegebiets Fasanenhof-Ost stört das Outfit niemanden. Im Gegenteil. Der Chef selbst besitzt eine Harley. Alle zwei Wochen treffen sich bei Rolf Porompka die Biker aus der Umgebung zum Stammtisch. Porompka, der von allen nur Pommes genannt wird, ist auf dem Fasanenhof nicht unbekannt. Sein Vater hatte einst auf dem Europaplatz eine Diskothek und einen Imbiss. „Wir hoffen, dass mit dem Neubau des Europaplatzes wieder ein Zentrum auf dem Fasanenhof entsteht“, sagt Stockfleth. Ein Zentrum wie damals, als es noch 11 000 Einwohner an der südwestlichen Peripherie der Landeshauptstadt gab. Zwei Drittel davon waren zu jener Zeit Kinder. „Da war immer Highlife in der Keksdose“, erinnert sich Stockfleth. Heute leben noch 6600 Menschen dort. Die Kinder von damals sind längst erwachsen, die Erwachsenen sind Senioren.

Ein Umzug kam für den gelernten Elektriker nie in Frage

Hans-Peter Stockfleth ist eines dieser erwachsen gewordenen Kinder. Er ist ein Ureinwohner des Fasanenhofs. Darauf ist er stolz. Er war ein halbes Jahr alt, als die Eltern 1961 mit seiner älteren Schwester und ihm von Hofen auf den Fasanenhof zogen. Ein Jahr zuvor hatte die Stadt Stuttgart damit begonnen, den Stadtteil aus dem Boden zu stampfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Not groß, Wohnungen wurden zugeteilt. Wer keine Kinder hatte, hatte auch keinen Anspruch auf eine große Wohnung.

Ein Umzug kam für den gelernten Elektriker, seine Frau und seine zwei Söhne auch später nie in Frage. Warum auch? „Der Fasanenhof ist wunderbar grün und weit, man kennt sich und man hilft sich.“ Seit zwei Jahren ist der Stadtteil auch an die Stadtbahn angebunden. Der Tag der Eröffnung war für die Bewohner ein großer Tag. Hans-Peter Stockfleth selbst war mittendrin. Als Stadtbahnfahrer bei den Stuttgarter Straßenbahnen durfte er einen der beiden Parallelzüge fahren. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl, in den eigenen Stadtteil einfahren zu dürfen“, sagt Stockfleth. „Vor meiner Bahn ging das Feuerwerk hoch und Hells Bells von AC/DC ertönte“, erinnert er sich. Freunde, Verwandte und Bekannte jubelten ihrem Stocki zu und beglückwünschten ihn nach der offiziellen Jungfernfahrt.

„Die Fasanenhofer haben als große Familie diesen Tag gefeiert, jeder hat sich engagiert und zum Gelingen des Fests beigetragen.“ Tatsächlich identifizieren sich die Menschen besonders mit ihrem Stadtteil. Verwunderlich ist das kaum, denn viele von ihnen haben der Siedlung einst überhaupt erst Leben eingehaucht und den Stadtteil zu dem werden lassen, der er heute ist.

Stockfleth: „Glauben ist etwas, das in mir stattfindet“

Hans-Peter Stockfleth gehört zu denjenigen, die sich in der Kirchengemeinde einbringen. Das ist die andere Seite des Rockers. Zu dieser Seite gehört, dass er ein bis zweimal im Jahr an einem Gottesdienst von Mönchen in Beuron teilnimmt. „Und wenn wir mit der Familie im Urlaub sind, versuchen wir auch dort, einen Gottesdienst zu besuchen.“ Auf dem Fasanenhof engagiert sich Stockfleth im Montagsclub. „Beziehungsweise im Con-Spezial-Team“, sagt er. Das ist eine Gruppe evangelischer und katholischer Männer, die sich im Gemeindezentrum trifft und unter anderem Feste im Gemeindesaal der katholischen Kirche Sankt Ulrich organisiert. „Unsere Frauen helfen natürlich mit“, sagt Stockfleth.

Stockfleth ist evangelisch, hat auch in den 80er-Jahren den sogenannten Mäuerlesclub mitgegründet. Der traf sich anfangs an der Mauer des Kreisauer Wegs, später im Jugendhaus. Fünf Jahre lang war er zudem im Kirchengemeinderat der evangelischen Bonhoefferkirche, in verschiedenen Ausschüssen und unter anderem im Gesamtkirchenbeirat zuständig für die Mobile Jugendarbeit. Dort engagiert er sich bis heute als stellvertretender Beisitzer.

Konfirmiert ist Hans-Peter Stockfleth übrigens trotz allem nicht. „Da war ich schon eigen.“ Er wollte nicht zu denjenigen gehören, die sich konfirmieren lassen, nur damit sie ein großes Fest, Geschenke und Geld absahnen können. „Glauben ist etwas, das in mir stattfindet“, sagt Stockfleth.

Eines offenbart optisch dann aber doch Stockfleths guten Draht nach oben. Ein Kreuz baumelt um seinen Hals. „Das habe ich bei einem Juwelier machen lassen.“ Ein zweites Kreuz soll auf dem linken Oberarm dazu kommen. „Meine Frau ist aber dagegen, dass ich mir noch weitere Tattoos stechen lasse“, sagt Stockfleth und lacht.