Mühlhausen hat mehr zu bieten als die älteste Kirche in Stuttgart und ein ehemaliges Schloss, das als Bezirksrathaus genutzt wird - zum Beispiel Wasser und Wein.

Mühlhausen - "Mühlhausen ist ein Dorf“, sagt Matthias Knisel. Das meint der 47-Jährige nicht abwertend – im Gegenteil: „Wir sind stolz darauf, dass es hier so ländlich zugeht.“ Jeder kenne jeden. „Aber wenn du hier wohnst, willst du das auch“, sagt er.

 

Spricht Matthias Knisel von Mühlhausen, meint er allerdings auch nicht den ganzen Bezirk mit seinen insgesamt fünf Stadtteilen, sondern den Alten Flecken, rund um die 1380 erbaute Veitskapelle, die älteste Kirche Stuttgarts. In Freiberg, Mönchfeld und Neugereut lebe es sich wohl anonymer, sagt der Busunternehmer. Die Stadtteile sind erst in den 50er, 60er und 70er Jahren entstanden. Vor allem die vielen Hochhäuser prägen dort das Stadtbild. Der Bund und das Land Baden-Württemberg waren sich vor wenigen Jahren einig, dass die drei Stadtteile aufgewertet werden müssen, bevor sie zu Brennpunkten werden und nahmen sie in das Förderprogramm „Die Soziale Stadt“ auf.

Grenze zur Vorstadt

Knisel ist in Mönchfeld und Freiberg zur Schule gegangen, seine Frau ist Lehrerin an der Jörg-Ratgeb-Schule in Neugereut, doch seinen Lebensmittelpunkt hat er eindeutig im Stadtteil Mühlhausen. Nicht im Alten Flecken, aber quasi auf der anderen Straßenseite. Das historisch gewachsene Zentrum höre nämlich an der Mönchfeldstraße auf, sagt Matthias Knisel. Die viel befahrene Trasse, die Mühlhausen und Zuffenhausen verbinde, sei für Alteingesessene Mühlhäuser wie eine Grenze zur Vorstadt.

Hinter dieser Grenze haben seine Vorfahren die Gaststätte Rössle eröffnet und seine Großeltern 1928 die Firma Knisel gegründet. Was mit einem Omnibus und den Fahrten der Arbeiter der Firma Salamander nach Kornwestheim begann, ist heute ein Unternehmen mit 17 Bussen. Matthias Knisel hat 1999 die Firmenleitung von seinem Vater übernommen. Rund um den Firmensitz an der Arnoldstraße ist er aufgewachsen, hat eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Dort fühlt er sich wohl, dort ist er zuhause. „Hier in Mühlhausen findet man alles, was man zum Leben braucht. Man kann vor Ort sämtliche Einkäufe erledigen, und auch zum Erholen muss man nicht raus aus dem Bezirk.“

Motorisierte Flutwelle

Wer erst einmal ein paar Minuten an der Kreuzung Mönchfeld-/Aldinger Straße gestanden hat, vermag dies kaum zu glauben. Nur eine Querstraße von Knisels Geschäftsräumen entfernt werden täglich rund 20 000 Fahrzeuge gezählt. Das sind so viele Autos, dass ein einspuriger Kreisverkehr nicht in Frage kommt, um der motorisierten Flutwelle Herr zu werden. Ein zweispuriger sogenannter Turbo-Kreisel mit Ampel soll den Verkehrsknoten lösen, wenn es nach dem Stadtplanungsamt geht. Attraktiver wird die Kreuzung aber dann nur für Autofahrer. Der Asphalt, die Schnellimbiss-Ketten, eine Tankstelle und ein riesiges Einkaufszentrum werden bleiben. Und zwischen diesen Betonbauten, dem Lärm und Feinstaub soll Erholung möglich sein? „Abwarten“, sagt Matthias Knisel. In der Tat: Wenige Meter weiter führt der vor zwei Jahren eröffnete Vier-Burgen-Steg nicht nur über den Neckar, sondern auch in eine andere Welt. „In meiner Jugend waren wir viel am Neckardamm unterwegs. Das durfte damals niemand wissen, aber hier haben wir unsere erste Zigarette geraucht und uns mit Mädchen getroffen“, sagt Knisel und schmunzelt.

Es ist also nur ein Katzensprung, um dem Verkehrschaos in Mühlhausen zu entkommen. Auf Hofener Gemarkung weichen die Geräusche der lärmenden Autos allmählich dem Zwitschern der Vögel. Matthias Knisel ist auf dieser Seite des Neckars oft mit dem Fahrrad oder den Nordic-Walking-Stöcken unterwegs. „Hier kann ich abschalten“, sagt er. Sein Blick schweift ab – etwas bergauf, an Hecken, Büschen und Bäumen vorbei. „Dort oben steht die Hofener Burgruine“, sagt Knisel. Sie sei ein Wahrzeichen des Stadtteils, der wie der Alte Flecken auf eine alte, gewachsene Tradition blicken könne – geprägt durch die katholische Kirche. Und natürlich durch den Neckar. Er schlendert am Fluss entlang und blickt auf die Hofener Schleuse. Zufällig kommt ein Schiff vorbei. In Matthias Knisel weckt das Erinnerungen: „Früher haben wir die Kapitäne gefragt, ob sie uns mit durch die Schleuse nehmen. Das war für uns Kinder normal.“ Heute lebt der 47-Jährige noch näher am Neckar als früher. Angst vor Hochwasser hat er trotzdem nicht: „Unser Nachbar ist der Schleusenwärter. Er hat immer im Scherz gesagt, dass erst mal Aldingen dran ist, bevor es bei uns Hochwasser gibt. “

Mühlhausen ist für Steillagen bekannt

Sein Lieblingsplätzchen hat sich Matthias Knisel dennoch fernab von Schleuse und Neckardamm gesucht. „Ich verbinde den Bezirk nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Wein.“ Und dort, wo schon seine Großeltern körbeweise Trauben durch den Wengert geschleppt haben, endet dann auch der Spaziergang. Mühlhausen ist für seine Steillagen bekannt. Insgesamt stehen am Hang rund 14 Hektar Weinanbaufläche zur Verfügung. Familie Knisel hat ihren Weinberg aber mittlerweile verkauft. Die Zeit fehlt, ihn zu bewirtschaften. Pro Hektar Steillage werden jedes Jahr rund 1400 Arbeitsstunden im Weinberg fällig. Wie hart das sein muss, wird jedem klar, der die schmalen Treppenstufen hinaufsteigt. Doch der Ausblick hoch oben im Weinberg entschädigt für das verschwitzte T-Shirt. Wald, Neckar und Max-Eyth-See laden zum Träumen ein. „Meine Oma wollte an dieser Stelle immer einen Bungalow bauen“, sagt Matthias Knisel. Er weiß, dass es nicht möglich ist, aber die Vorstellung lässt für einen kurzen Moment die Zeit still stehen. Und inmitten der Idylle kommt er zu dem Schluss: „Auch das ist Mühlhausen.“