Der 17-Jährige Lukas Mc Clintock macht bei Porsche eine Ausbildung zum Mechatroniker. Für ihn ist Zuffenhausen allerdings noch viel mehr: einfach Heimat.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart-Zuffenhausen - Lukas Mc Clintock schiebt sein Fahrrad über den Asphalt. Hier, wo sich Strohgäu- und Stammheimer Straße kreuzen, entfährt ihm ein Bekenntnis. „Ich wüsste gar nicht, wo ich lieber wohnen würde als in Zuffenhausen“, sagt der 17-Jährige. Er sagt das an einem Ort, an dem sich Zuffenhausen nicht unbedingt von seiner gewinnendsten Seite zeigt. Aber an dieser Kreuzung treffen nun einmal die beiden Lebensbereiche aufeinander, die Lukas Mc Clintocks Leben bestimmen und die verantwortlich sind für diese Sympathiebekundung: das Porschewerk und die Welt des Fahrradfahrens. „Lukas und sein Fahrrad,“ hat seine Mutter gerade noch gesagt, „die gehören einfach zusammen.“

 

Natürlich ist Zuffenhausen ein wichtiger Industriestandort für die Stadt und die Region sowieso. Dass es hier an der Peripherie Stuttgarts aber auch jede Menge Grün gibt, durch das man radeln, joggen oder einfach nur spazieren gehen kann, ahnen die wenigsten. Die meisten sehen von der mehrspurigen B 27 aus nur die hohen Lärmschutzwände. So leben die Zuffenhäuser im Windschatten der großen geschäftigen Innenstadt und dies- und jenseits der Schnellstraße, die ihren Ort brutal zerschneidet. Und sie haben ihren Porsche.

Eine Lehrstelle bei Porsche ist wie ein Lottogewinn

Dort also macht Lukas Mc Clintock seine Ausbildung zum Mechatroniker. Darauf ist er stolz. Eine Lehrstelle dort, das ist wie ein Lottogewinn. Lukas Mc Clintock weiß das. Schaut man auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Zuffenhausen, versteht man, dass die Lebenswirklichkeit vieler Jugendlicher hier eine andere ist. Vor einem Jahr hat Lukas Mc Clintock seine Lehre begonnen. Aber es ist nicht etwa das Ende seiner Ausbildung, das er herbeisehnt. Der Führerschein ist im Moment um einiges attraktiver. Dann kann er auf dem Werkshof endlich die PS-starken Sportwagen selbst hin- und herrangieren.

Hier an der Kreuzung , beim ehemaligen Straßenbahnmuseum, liegt das PorscheAusbildungszentrum. Auf dem Hof stehen die Sehnsuchtskarossen kleiner wie großer Männer. Für viele hat der Ortsname Zuffenhausen einen ganz besonderen Klang. Prominente, die einen Termin in Stuttgart haben, machen gerne einen Abstecher hierher. Sie wollen dorthin, wo der Mythos zu Hause ist – nach „Suffenhausen“, wie viele in radebrechendem Deutsch sagen.

Aber Porsche ist ja nur ein Bereich in der Lebenswirklichkeit Lukas Mc Clintocks. Schräg gegenüber seiner Ausbildungsstätte liegt sein Lieblingsfahrradladen. Als ihm neulich der Radrahmen gebrochen ist, haben sie ganz kulant geholfen. Die räumliche Nähe im Stadtteil hat Vorteile. Schon die Hefte für die Schule hat Lukas mit seiner Mutter im fast schon legendären Kaufhaus Nuspl in der Unterländer Straße gekauft. Dort gibt es auch heute noch so gut wie alles – vom Reißverschluss bis zur Eieruhr. Ein paar Schritte weiter in Richtung Rathaus liegt die Eisdiele Olivier. Seit 1959 verkauft die Familie ihr Eis am Fuß der evangelischen Pauluskirche. Auch Lukas Mc Clintock hat sich hier durchs Sortiment geschleckt. Am neu gestalteten Emil-Schuler-Platz sitzen die Pioniere der ersten Gastarbeitergeneration samstagmorgens bei Espresso und Eisbecher ebenso wie Alteingesessene und Neu-Zuffenhäuser.

Die Mc Clintocks gehören streng genommen zu letzteren. Der Name verrät es: Lukas’ Vater ist Amerikaner. Als der seine Offizierslaufbahn in den USA fortsetzte, zog seine Familie für viereinhalb Jahre mit. Aber als es 1999 zurück nach Deutschland ging, war allen klar: Wir wollen wieder nach Zuffenhausen. Dort, wo einst Kreidler seine Krafträder hergestellt hat, steht heute eine Biosolarsiedlung. Hier am Stadtpark, nur ein paar Minuten vom Porschemuseum und den sich darum ausbreitenden Porschewerkshallen entfernt, ist Lukas Mc Clintock aufgewachsen. Hier beginnt er seine Runden mit dem Rad.

„Nicht genügend Angebote für Jugendliche mit wenig Geld“

Er muss nur ein paar Mal in die Pedale treten, dann ist er bei der Schlotwiese, einem geschichtsträchtigen Areal. Hier gibt es Sportstätten für Fußball- und Tennisvereine, der SSV Zuffenhausen betreibt sein Freibad – „’s Bädle“ genannt. Bei Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg wurde es wie ganz Zuffenhausen in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Krieg kamen in den Baracken dort zunächst die Displaced Persons unter – die Menschen also, denen Krieg und NS-Herrschaft Heimat, Nationalität und oft auch ihre Familien genommen hatte. Nach ihnen die Heimatvertriebenen, von denen viele nach Rot weiterzogen und den durch sie wachsenden Teil Zuffenhausens prägten.

Heute beherbergt die Schlotwiese wieder Sportanlagen. 1972 kam noch die Kinder- und Jugendfarm dazu. Für Lukas ist das der Ort, an dem er viel Zeit verbracht hat. „An dem Turm haben wir mitgebaut“, sagt er, nachdem er das Tor zur Farm vorsichtig geschlossen hat. Ein tiefes Fundament hat er zusammen mit seinem Vater und den anderen Kinder und ihren Eltern damals ausgehoben. Doch das ist schon ein paar Jährchen her. Irgendwann ist er dieser Welt entwachsen. Tennis hat er gespielt, Leichtathletik betrieben, Posaune und Trompete in der methodistischen Kirchengemeinde gespielt, bis er beim Fahrradfahren landete. „Ich muss immer in Aktion sein“, sagt er. Das Jugendhaus auf dem Mönchberg, im Stadtteil jenseits der B 27 gelegen, hat er nie besucht. Es liegt viel zu weit weg. Lukas Mc Clintock denkt stattdessen wehmütig an die Half Pipe vor dem S-Bahnhof. „Es gibt nicht genügend Angebote für Jugendliche, die wenig Geld haben“, sagt er nachdenklich. Die Anlage gibt es nicht mehr. Blumenrabatten haben ihren Platz eingenommen. Lukas Mc Clintock wird heute wohl noch mal auf sein Fahrrad steigen, um eine Runde zu drehen.