Die gebürtige Griechin Vicky Mastrantoni schätzt an ihrer Wahlheimat Bad Cannstatt die Vielseitigkeit und das Multikulturelle.

Bad Cannstatt - Es ist ohrenbetäubend laut. Auf vier Spuren brummen Autos, Lastwagen und Motorroller vorbei, wenige Meter weiter rauscht die Stadtbahn. Aus einer Unterführung dringt das Stakkato eines Presslufthammers. Zweimal im Jahr mischen sich die Verkehrsgeräusche für einige Wochen mit den grellen Schreien von nicht ganz schwindelfreien Achterbahnfahrern. Trotzdem und auch gerade deshalb hat Vicky Mastrantoni die Mercedesstraße zu ihrer Wahlheimat auserkoren. „Hier finden sich so viele Dinge, die Bad Cannstatt ausmachen, wie sonst nirgendwo.“ Das Mercedes-Benz-Werk samt Museum, das symbolisch für die Geburtsstätte des Autos steht, das Stadion als Heimat des VfB Stuttgart, die Hanns-Martin-Schleyerhalle und die Porsche-Arena und natürlich den Cannstatter Wasen erreicht die gebürtige Griechin in wenigen Minuten zu Fuß, wenn sie aus der Haustür tritt und sich nach links wendet.

 

Meistens führt ihr Weg aber nach rechts. Nur ein paar Meter geht sie durch die Unterführung und findet sich in einer anderen Welt wieder. Einer Welt, in der die Blätter im Wind rascheln, die Vögel zwitschern und höchstens mal ein Fahrradfahrer ungeduldig klingelt. „Ich gehe jeden Tag am Neckar spazieren. Hier kann ich abschalten“, sagt Mastrantoni. Wenn sie ein paar Minuten Zeit hat, gönnt sie sich einen Cappuccino am Stadtstrand – für die 42-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin der perfekte Ort, um die Füße in den Sand zu stecken und die Seele baumeln zu lassen.

Es sei wahrscheinlich der Fluss gewesen, der sie bei der Wohnungssuche vor acht Jahren aus dem Stuttgarter Westen nach Bad Cannstatt gelockt habe. „Wasser ist mein Element und ein Stück Heimat." Das könne ein Grund dafür sein, dass in Bad Cannstatt besonders viele ihrer Landsleute leben, glaubt Mastrantoni. Mehr als 4000 Griechen haben in Stuttgarts größtem Stadtbezirk eine fast vollständige griechische Infrastruktur aufgebaut. Die meisten von ihnen sind in den sechziger Jahren gekommen, als die Firmen in Cannstatt und der Umgebung dringend Arbeitskräfte benötigten. Wenn nun noch die Pläne der Stadt verwirklicht werden, die für Bad Cannstatt unter anderem eine Flaniermeile am Neckarufer vorsehen, wäre für Mastrantoni das Heimatgefühl perfekt.

Obwohl sie mit zwei Jahren von Thessaloniki nach Deutschland gekommen ist, sind ihre griechischen Wurzeln Bestandteil ihres Lebens: Vicky Mastrantoni spricht Griechisch so akzentfrei wie Deutsch und ist zehn Jahre lang beruflich zwischen beiden Ländern gependelt. Seit dem vergangenen Jahr lebt sie ausschließlich in Stuttgart, wo sie mit Mutter und Bruder eine Versicherungsagentur betreibt.

In der Krefelder Straße trifft sich die griechische Gemeinde

Wenn sie doch Heimweh bekommt, macht sie einen Abstecher zur griechischen Gemeinde in der Krefelder Straße. Täglich treffen sich dort Griechen, um Fußball oder die Nachrichten anzuschauen und ausgiebig darüber zu diskutieren. An den Nationalfeiertagen wird gemeinsam gefeiert, immer gibt es dort einen Kaffee. Der Deutschen liebstes Getränk sei für die Griechen viel mehr als nur ein Durstlöscher. „Kaffee steht für gute Gespräche.“ In guter Gesellschaft könne es schon mal drei Stunden dauern, einen traditionellen griechischen Mokka oder Frappé zu trinken – vor allem wenn er auf der „Meile“ eingenommen wird, wie Mastrantoni liebevoll die Gegend rund um die Bahnhof- und die Seelbergstraße nennt, wo sich besonders viele der Cannstatter Griechen niedergelassen haben – als Friseure, Ärzte, Rechtsanwälte oder Wirte. Bei schönem Wetter sind die Cafés beliebter Treffpunkt und Laufsteg zugleich. Gleiches gilt für die Lounge C4, die sich nur wenige Meter weiter an der Waiblinger Straße befindet. „Wenn dort eine Live-Band spielt, tanzen Angehörige aller Nationen gemeinsam auf den Tischen“, sagt Mastrantoni. Aus ihrer Sicht ist Bad Cannstatt eine Musterstadt in Sachen Multikulturalität.

So bunt wie der Stadtbezirk sei auch ihr Bekanntenkreis: „Ich habe Freunde mit den unterschiedlichsten Wurzeln.“ Darunter gebe es viele Schwaben – die gar nicht so verschlossen seien, wie es ihnen nachgesagt werde. „Es dauert vielleicht länger als im Rheinland, Kontakte zu knüpfen. Wenn man aber einen Freund gefunden hat, hat man ihn fürs Leben.“ Das liege auch daran, dass Griechen und Schwaben mehr gemeinsam hätten, als es auf den ersten Blick scheine, erzählt Vicky Mastrantoni auf dem Weg durch die Cannstatter Altstadt.

Am Thaddäus-Troll-Platz zeigt sie zum Beweis auf die Statue des Entaklemmer. „Schaffe, schaffe Häusle bauen, Bier trinken und Mädle schauen“ sei ein Motto, das auch die Griechen unterschrieben. Der einzige Unterschied sei, dass die Griechen Ouzo oder Wein dem Bier vorzögen. Vicky Mastrantoni selbst trinkt gerne Trollinger. Einer der besten Plätze, um sich ein Gläschen zu genehmigen, sei das Klösterle: „Ich liebe alles Alte.“ An dem 1463 erbauten und damit ältesten erhaltenen Wohnhaus der Landeshauptstadt mag sie die urige Atmosphäre. Im Inneren ist das einzige Beginenhaus Europas mit integrierter gotischer Kapelle bis heute im Originalzustand, 1983 wurde das Gebäude saniert. In der gleichnamigen Weinstube gibt es klassische schwäbische Spezialitäten.

Soll es aber denn nun letzten Endes Rostbraten oder doch lieber Souvlaki sein? Darauf kann und will Vicky Mastrantoni nicht antworten. Für sie gibt es nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als-auch: „Ich bin eine schwäbische Hellenin.“ Der Mensch werde nicht durch Geburt, was er ist, sondern durch Vernunft und Bildung. „Das ist ein geistiger Prozess, der keine Landesgrenzen kennt.“