Eine seltene Erbkrankheit hat den neunjährigen Philip innerhalb kurzer Zeit zu einem Pflegefall gemacht. Der Junge kann nicht mehr gehen, stehen, sitzen, sehen oder sprechen. Was er von der Welt um ihn herum mitbekommt, weiß niemand.

Schorndorf - Philip hat eine gesunde Farbe im Gesicht. Richtig braun geworden ist er bei den Spaziergängen durch Schorndorf-Weiler und den Besuchen im Weilermer Bädle. „Wir gehen oft mit ihm raus, weil das früher sein Leben war“, sagt Miroslaw Ilic, sein Vater. Früher, das hört sich nach viel Zeit an. Dabei ist es gerade einmal anderthalb Jahre her, seit Miroslaw und Anita Ilic erfahren haben, dass ihr Sohn an der Erbkrankheit Adrenoleukodystrophie (X-ALD)leidet.

 

Eigentlich wollten sie damals nur abklären lassen, woher Philips Kopfschmerzen stammen. Im vergangenen Januar hatte er einen so starken Migräneanfall, dass er sich zwei Tage nicht rühren konnte. „Daraufhin haben wir eine MRT machen lassen“, erzählt Miroslaw Ilic. Auf dieser war ein Schatten im Gehirn zu sehen, in der Form eines kleinen Schmetterlings. Die erste Vermutung: ein Tumor oder eine Gehirnentzündung. In der Uniklinik Tübingen stellte sich heraus, dass beides nicht der Fall war. Sondern dass es Philip mit der Krankheit XALD noch schlimmer getroffen hat. Sein Körper kann die körpereigenen langkettigen Fettsäuren nicht abbauen. Dafür werden diese im Gehirn und in den Nebennieren abgelagert. Die Folge von X-ALD ist ein neurologischer Verfall und ein allmählicher Verlust aller lebenswichtigen Körperfunktionen.

„Der Arzt hat uns gesagt, dass es keine Heilung gibt, sondern nur einen Therapieversuch, der einen Stillstand bringen kann. Dann hat er uns auch noch gesagt, dass unsere beiden anderen Söhne die Krankheit zu 50 Prozent ebenfalls haben können. Das hat uns vollends fertig gemacht“, sagt Miroslaw Ilic. Bei 1:20 000 liegt die Wahrscheinlichkeit für Jungen, an X-ALD zu erkranken. Zum großen Glück sind der vierjährige Jona und der siebenjährige David aber beide gesund.

David hat seinem älteren Bruder im vergangenen Mai nach einer Hochdosis-Chemotherapie dann auch Knochenmark gespendet. Durch diese Maßnahme sollte die Krankheit aufgehalten werden. „Wir haben aber schon ein paar Wochen später gemerkt, dass es nicht hilft. Er hat sich seine Quartettkarten beim Spielen ganz dicht vor die Augen gehoben, weil er diese sonst nicht richtig gesehen hat“, sagt Miroslaw Ilic. Zwar ist es bei dieser Therapie oft so, dass sich der Zustand erst verschlechtert und dann stabilisiert. Doch Philip war dies nicht vergönnt. „Eine Mitarbeiterin des sozialen Dienstes in Tübingen hat zu uns gesagt, dass sie in 23 Jahren keinen so schnellen Verlauf erlebt hat.“

Miroslaw und Anita Ilic bemerken fast täglich, wie der Verfall voranschreitet. Philip liegt auf dem Sofa im Wohnzimmer und blickt ins Nichts. Er kann nichts mehr sehen, fast nichts mehr hören, nicht mehr stehen, nicht mehr laufen. Er leidet an spastischen Muskelkrämpfen, alle zwei bis drei Wochen müssen die Medikamente neu eingestellt werden, damit die Schmerzen nicht zu groß werden. Wieviel er noch mitbekommt, weiß keiner. „Vor kurzem waren wir im Bädle und er hat vier Stunden am Stück gelacht. Irgendwie scheint er schon auch glücklich sein zu können“, sagt Anita Ilic.An diesem Nachmittag kommt auch Oliver Cillessen von der Orthopädietechnik Krüger zu Besuch und kitzelt ihn am Fuß. Philip lächelt breit. „Er erkennt, wer ihm helfen möchte“, sagt Miroslaw Ilic.

Der 37-jährige Verkehrssicherungstechniker ist ein Bär von einem Mann. Doch trotzdem haben ihn die Erlebnisse der vergangenen Monate fast umgeworfen. Ganz von der Belastung abgesehen, ein todkrankes Kind daheim zu haben, war es der Ärger mit Ärzten, der Krankenkasse und den Behörden, der ihn an den Rand seiner Kräfte gebracht hat. Es war schwierig, einen Behindertenausweis zu bekommen, es habe zu lange gedauert, bis Hilfsmittel wie Toilettensitz, Rollstuhl und anderes waren.

„Zum Glück trifft man dann doch immer wieder Menschen, die einfach helfen“, sagt Ilic. So wie Oliver Cillessen, der Hilfsmittel unentgeltlich bereit gestellt hat, auch ohne die Genehmigung der Krankenkasse. Oder der Ortsvorsteher Klaus Beck, der sich dafür eingesetzt hat, dass Kindergarten- und Kernzeitbetreuungsgebühren während der vierwöchigen Familien-Reha auf Sylt wieder zurückgezahlt wurden.

„Sehr geholfen hat uns der Aufenthalt in einem Kinderhospiz im Allgäu. Dort haben wir fast drei Stunden mit einer Palliativmedizinerin und einer Familie mit einem ähnlichen Schicksal wie unserem gesprochen. Danach war unser Weg klar“, erzählt Miroslaw Ilic. Die Familie hat sich mittlerweile ein Netzwerk in ihrer Umgebung aufgebaut. Betreuer des Kinderhospizdienstes Sternentraum kommen zweimal in der Woche und beschäftigen sich mit Philip. „Dann kann ich in der Zeit auch mal mit den anderen beiden etwas unternehmen“, sagt Anita Illic. Mit Ulrich Bernbeck, Oberarzt an der Klinik in Winnenden, haben sie in einem langen Gespräch Dinge wie eine Patientenverfügung für Philip besprochen.

Was jetzt noch fehlt, ist ein geeignetes Auto, damit Anita Ilic mit den Kindern Besorgungen erledigen oder Ausflüge unternehmen kann, auch wenn ihr Mann arbeitet. Zwischen 15 000 und 20 000 Euro kostet ein Gefährt mit einer Rollstuhlrampe. Das ist viel Geld für die Familie. „Deswegen haben wir einen Spendenaufruf gestartet“, sagt Miroslaw Ilic. Freunde organisieren zudem ein Kinderfest in Schorndorf-Weiler, um die Familie zu unterstützen. „Auch über Facebook läuft total viel. Ich züchte Garnelen und habe mitbekommen, wie es sogar in anderen Ländern Auktionen gibt, bei denen ein Teil des Erlöses für Philip gespendet wird.“

Ein ganz großer Wunsch der Familie Ilic ging am vergangenen Samstag in Erfüllung. Es ging nach Italien, auf einen Campingplatz bei Venedig. Finanziert wird der Aufenthalt von dem Verein Herzenswünsche. Lange war es eine Zitterpartie, ob der Zustand von Philip überhaupt eine Reise zulässt. Doch irgendwann haben die Ilics beschlossen: sie fahren. Mit dem Arzt hat die gelernte Krankenschwester Anita Ilic genau besprochen, welche Medikamente notfalls in welcher Dosis gegeben werden können. „Philip kann nichts mehr verlieren, er kann durch den Urlaub nur gewinnen“, sagt Miroslaw Ilic.

Hilfe für Philip

Spendenkonto:
Beim Kinder- und Jugendhospizdienst Sternentraum in Backnang ist ein Spendenkonto eingerichtet. IBAN: DE36 6029 1120 0000 0090 24; BIC GENODES1VBK; Verwendungszweck: Philip Ilic. Wer eine Spendenbescheinigung möchte, sollte Name und Adresse ebenfalls angeben.

Kinderfest:
Am 14. September findet von 11 Uhr bis 16.30 Uhr ein Flohmarkt mit Kinderfest am Parkplatz des Bahnhofs in Schorndorf-Weiler statt. Das Standgeld wird Philip gespendet. Zudem gibt es eine Tombola, eine Kinderspielstraße und einen Rolli-Parcours. Weitere Infos im Netz unter www.hilfefuerphilip.de