Jonathan Voges blickt als Historiker auf das Phänomen Heimwerken. Selbst greift er dagegen nur in Ausnahmefällen zur Bohrmaschine. Im Interview erklärt der Wissenschaftler, warum Heimwerken so beliebt ist.

Stuttgart - D er Boom der Baumärkte reißt nicht ab. Deutsche Verbraucher geben mehr Geld für Tapeten, Farbe oder Werkzeug aus als für Textilien. Doch was macht die Faszination des Heimwerkens aus? Dieser Frage geht Jonathan Voges in seiner Dissertation nach.

 
Herr Voges, wann haben Sie zuletzt eine Bohrmaschine benutzt?
Ach, das ist noch gar nicht so lange her. Ich bin vor einigen Wochen Vater geworden und habe meiner Tochter ein Babygym gebaut, das ist so ein Gestell, an dem Spielzeug hängt. Da brauchte ich eine Bohrmaschine.
Dann haben Sie die Kulturgeschichte des Do-it-yourself aus der Perspektive eines passionierten Heimhandwerkers geschrieben?
Nein, im Gegenteil: Ich heimwerke nur, wenn es sein muss. Das unterscheidet mich von den meisten Männern in meiner Umgebung. Ich hab mir das Thema für meine Dissertation ausgesucht, weil ich besser verstehen wollte, warum so viele Menschen ihre Freizeit damit verbringen, in Baumärkten einkaufen zu gehen. Mir ist diese Begeisterung fremd.
Warum ist das Thema für die Kulturgeschichte relevant?
Man kann sehr viel draus ablesen. Es geht zum Beispiel um das Verhältnis von Arbeit und Freizeit, um das Verhältnis der Geschlechter oder um die Frage, wie Menschen wohnen. Und es geht auch darum, wie sich der Einzelhandel infolge des Do-it-yourself-Booms verändert hat. Denken Sie an die vielen Baumärkte, die überall wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.
Ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, dass Menschen sich nur entspannen können, wenn sie auch noch in ihrer Freizeit pinseln, bohren, streichen und hämmern?
Auf den ersten Blick wirkt das tatsächlich sehr deutsch. Diese Angewohnheit, Freizeit nur genießen zu können, wenn man dabei etwas tut. Das Phänomen ist aber international. Ursprünglich kommt die Do-it-yourself-Welle aus den USA. Dort entstand sie aus dem Pioniergeist heraus.
Sie schreiben, Heimwerken sei typisch für eine Wohlstandsgesellschaft.
Mit dem Heimwerken verhält es sich wie mit dem Gärtnern. Das ist auch mal aus der Not entstanden und hat sich zu einem Hobby entwickelt, das man gerne pflegt, weil es Spaß macht. Es ist das gute Gefühl, etwas selber zu machen, was die Menschen mit Zufriedenheit erfüllt.
In Deutschland begann der Boom Ende der fünfziger Jahre mit dem Beginn des Wirtschaftswunders. Wie hat sich das Heimwerken seither verändert?
Der Wiederaufbau war damals zwar schon abgeschlossen. Hier und da wirkte der Krieg aber noch nach. Es gab Decken, von denen der Belag bröckelte. Die Wohnverhältnisse waren beengt. Mieter versuchten, sich so gut wie möglich von ihren Nachbarn abzuschotten. Inzwischen geht der Trend weg von der Renovierung, hin zur Verschönerung. Upcycling, so nennt man das neudeutsch.
Was man heute in Tutorials auf Youtube findet, fand man früher im Magazin „Selbst ist der Mann“. Wurde das eigentlich auch von Frauen gelesen?
Ja, es gab darin eine eigene Rubrik für sie: Selbst ist die Frau. Ich glaube, die wurde aber erst nachträglich eingerichtet, weil sich so viele Frauen beschwert hatten.
Worüber?
Es waren Frauen, die nach dem Krieg die Trümmer beseitigt hatten. Einige kannten sich mit schweren Baugeräten aus. Jetzt speiste sie das Zentralorgan der Heimhandwerker mit Näh- und Basteltipps ab.
Die Werkzeug-Werbung zeigt oft Naturburschen in karierten Hemden. Hat sich am Männerbild bis heute nichts geändert?
Die Werbung ist tatsächlich in den siebziger Jahren stehengeblieben. Vorher sah die allerdings völlig anders aus. In den fünfziger und sechziger Jahren sah man Männer, die in weißem Hemd und mit Krawatte Löcher in die Wand bohrten. In einem Outfit also, das dafür denkbar ungeeignet war. Man wollte eben zeigen, dass sich auch das Bürgertum nicht zu fein für das Heimhandwerk war. Heute braucht man das nicht mehr.
Die Baumärkte haben das Do-it-yourself demokratisiert?
Genau. In den fünfziger Jahren wurden Heimwerker noch komisch angeguckt. Heute ist es genau umgekehrt. Das Heimwerken ist zur Norm geworden.
Mit der Bohrmaschine in der Hand darf sich der Mann wieder als Mann fühlen – singing ya-ya-yippie-yippie-yeah?
So suggeriert es die Hornbach-Werbung. Die hat etwas sehr Archaisches. In einem anderen Spot sieht man einen Mann, der sich die Klamotten vom Leib reißt und nackt vor seinem Werkzeug kniet. Das ist zwar ironisch gemeint. Ich glaube aber, dass Hornbach damit die wahren Bedürfnisse seiner Kunden anspricht.
Angeblich gibt es unter den Heimwerkern viele Männer, die beruflich gestresst sind.
Deshalb wurde das Heimwerken schon in den fünfziger Jahren als Gegenmittel gegen die sogenannte Managerkrankheit empfohlen.
Aber Heimwerken ist doch auch Arbeit.
Aber die Arbeit ist eine andere. Man erledigt sie für sich, nicht für andere. Man ist sein eigener Chef.
Ist der Hobbykeller für viele Männer nicht auch ein Weg, um vor ihrer Frau zu flüchten?
Ich glaube, sie flüchten weniger vor ihrer Frau als vor der Hausarbeit. Ein Regal aufzubauen macht mehr Spaß, als den Geschirrspüler leer zu räumen. Es ist eben eine Arbeit, die als männlich gilt.
Inzwischen bieten Baumärkte Kurse an, in denen Frauen lernen können, wie man Laminat verlegt oder Möbel zusammenschraubt. Ist die Gleichberechtigung endlich auch im Baumarkt angekommen?
Nein. Angekommen wäre sie ja erst dann, wenn solche speziellen Angebote für Frauen gar nicht mehr nötig wären.
Es soll auch Männer geben, die zwei linke Hände haben. Dürfen die das denn heute wenigstens zugeben?
Die Frage hat sich „Der Postillon“ auch schon mal gestellt. Nach der Pleite der Praktiker-Baumärkte hat das Satiremagazin angeregt, die Kette als Theoretiker-Baumärkte weiterzuführen – für eben jene Männer, die nicht mal einen Nagel in die Wand bekommen.