Die Stuttgarter Band Heisskalt vom Cro-Label Chimperator hat ihr erstes "richtiges" Album auf dem Markt. Mit "Vom Stehen und Fallen" kehrt die Band zum lauten Sound ihrer Anfangstage zurück - und lehrt uns doch, ganz genau hinzuhören.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wer die Stuttgarter Band Heisskalt von Anfang an begleitet hat, der weiß, dass das Quartett ursprünglich extrem laute Musik gemacht hat. Ohrenbetäubende Musik, noch viel lauter als das, was man bei den jüngeren Liveauftritten zu hören bekam. Keinen Lärm, wohlgemerkt. Aber eben harten Rock mit verzerrtem Bass, schreienden Gitarren und noch schreienderem Gesang. Außerdem hatte man bei jedem Schlag Mitleid mit den Trommeln von Drummer Marius Bornmann und auch Angst ums eigene Trommelfell. Ja, das war Musik, die Wände einreißen kann. Und auf der Bühne: Eine Alles-oder-jetzt-Performance, wir leben heute, morgen könnten wir tot sein. Yolo, auf eine Weise.

 

Mit dem Vertrag bei Chimperator und der EP "Mit Liebe gebraut" kamen dann poppigere Töne in den Heisskalt-Sound. Viele Teenies im Publikum, was zunächst nicht schlimm ist, aber Heisskalt-Musik kam beispielsweise zum Auftakt des Klinke-Festivals im August 2013 mehr auf wie leicht melancholischer, aber ziemlich aufgeräumter und glattgebügelter Rock für die Schulferien - kurz: moderner Sound, inhaltlich aber ein bisschen leichtgewichtig.

Die Dinge aussprechen, ach was: rausbrüllen

Mit dem am Freitag erscheinenden ersten "richtigen" Album beruhigen Heisskalt mögliche Fans der ersten Stunde. "Vom Stehen und Fallen" ist ein lautes, stellenweise aggressives Album. Melancholisch, ja. Aber die Aufnahme fängt doch viel von der Energie ein, die Heisskalt vom ersten Gig an auf die Bühne gebracht haben und mit der sie Chimperator (und später auch Sony, das den Vertrieb übernimmt) überzeugt haben. Kraftklub fällt einem als Referenz ein.

Dieses Album ist sowohl künstlerisch als auch geschäftlich ein Statement: für laute Musik, für Wut, deutschsprachige Texte, für progressive Rock-Musik. Rock: Man traut sich kaum noch, dieses Label zu vergeben. Rock klingt nach engen glänzenden Lederhosen, Achtzigern, Schlagzeug mit überzogenen Halleffekten. Rock steht aber auch für eine Sound-Idee: verzerrt, laut, direkt ins Herz. Heisskalt legen mit ihrem Album eine moderne Version dieser Idee vor. Sie machen sozusagen aufgeklärten Rock - Rock in einer Zeit, in der längst alles "Post"-irgendwas ist, in der Rap und Gitarrenmusik längst verschmolzen sind, in der Pop kein Schimpfwort mehr darstellt. Sondern allgemein als ein Weg anerkannt ist, um breitere Hörerschichten zu erschließen.

So ist "Vom Stehen und Fallen" eine Mischung aus Rocksongs, Indie-Produktion, Schrei-Sprechgesang. Die Texte sind weniger teeniemäßig als auf "Mit Liebe gebraut" - gut so. Texter und Sänger Mathias Bloech formuliert mehr als nur andeutungsweise eine wütende Sicht seiner jungen Generation, der die Saturiertheit der Alten gehörig auf den Sack geht. Das ist ein fast schon klassisches, man möchte sagen: überholtes Muster. Aber nein! Es ist gut, dass mal wieder jemand laut ausspricht, ach was: rausbrüllt, was alles schlecht ist. Im Video zu "Nicht anders gewollt" findet die Band dafür auch schöne Bilder:

Und so geht das fast auf Albumlänge, vom aufwühlenden Opener "Das Leben bleibt hier" bis zur puren Lärmwand ganz am Ende beim Song "Zweifel", bei dem die Refrain-Zeile "Und alles wird gut" nicht mehr vollständig über die Lippen geht. Auch in den einzelnen Songs passiert wahnsinnig viel: jedes Stück ein Mini-Soundtrack für ein kleines Drama oder wenigstens einen Wutausbruch. 

Man sollte in Heisskalt jetzt nicht die Revoluzzer sehen, die die junge Generation gegen das abgekarterte Spiel von Großfinanz und Politik aufbringen werden, die der Herrschaft der Alten das Handwerk legen werden. Musik kann das in der Regel nicht. Aber sie kann doch Bewusstsein schaffen, ein Lebensgefühl vermitteln. Nichts anderes machen die aktuell vieldiskutierten Bands Die Nerven und Messer oder Ja, Panik. Sie alle konnte man zuletzt in Stuttgart live sehen.

In den Songs ist oft die Rede von "Du" und "Wir", seltener von "Ich". Das passt, denn Heisskalt sind Teamplayer, obwohl jeder für sich sehr fähig ist an seinem Instrument. Auch deshalb gelingt musikalisch der Spagat zwischen klassischen Rock-/Gitarrenmusik-Mustern und zeitgemäßem Sound, zwischen angemessen viel Sprech-Schrei-Anteilen und Pop-Melodien.

Hör genau hin

"Und alles dreht sich von selbst / Du musst nur fliegen wenn du fällst", singt, ach was: schreit Mathias Bloech im Song "So leicht" über einem Brett von Gitarren und zitternden Becken. Heisskalt beschreiben oft diese kurzen Momente, die eigentlich die stärksten sind - aber zugleich so schnell vorbei, dass man gar nicht realisiert, was passiert. Heisskalt vertonen sozusagen den Knall, aber in Zeitlupe - und der kann ziemlich laut sein. 

Wenn man nur ein Wort für das Heisskalt-Album hätte, wäre es "intensiv". Nicht (mehr) im eingeschränkten Lifestyle-Sinn von Yolo, sondern als Zustandsbeschreibung der Welt. Man kann diese Welt als intensiv erleben, man muss nur die eigenen Sensoren fein genug einstellen, gut genug hinhören, genau hinsehen. Paradoxerweise ist es genau das, was Heisskalt ihren Hörern mit ihrer so lauten, unüberhörbaren Musik mit auf den Weg geben. 

"Vom Stehen und Fallen" erscheint am Freitag, 21. März auf CD, Vinyl und als digitaler Download. Label: Chimperator, Vertrieb: Sony.