Bei einer Gassi-Runde geht alles seinen gewohnten Gang, bis Anastasia Exouzidous Hündin Arteria in einen fremden Garten rennt. Dort findet sie im Dunkeln einen Mann, der fünf Meter in die Tiefe gestürzt ist und um sein Leben kämpft.

Korntal-Münchingen - Vier Wochen nach seinem Sturz vom Balkon ist Mike Williams aus dem Krankenhaus entlassen worden – ohne die Hündin Arteria wäre der 45-Jährige womöglich gar nicht mehr am Leben.

 

Alles beginnt mit einer normalen Gassi-Runde am Abend vor Rosenmontag. Die Friseurin Anastasia Exouzidou ist mit ihrem einjährigen Mischling gegen 22 Uhr in der Stettiner Straße unterwegs. Plötzlich bleibt Arteria mitten auf der Straße stehen, bellt ein einziges Mal und regt sich Sekundenlang nicht. „Sie war plötzlich so unruhig“, erinnert sich Exouzidou, „so habe ich sie zuvor nicht erlebt.“ Sie spürt, wie Arteria sie auf die andere Straßenseite drängen will. „Normalerweise laufen wir immer auf der linken Gehwegseite. Ich wusste, dass irgendetwas faul war.“

Als die Friseurin die Leine nur leicht locker lässt, rast die Hündin durch ein Gebüsch in den angrenzenden Garten zwischen zwei Wohnhäusern. Exouzidou fällt beinahe bäuchlings auf den Asphalt – wäre da nicht der Busch, in dem sie landet.

Als sich Arteria etwas beruhigt, befreit sich Exouzidou von den Sträuchern und schaut sich um. „Was ist denn da?“, fragt sie ihre Hündin. Da sind die Silhouetten der Bäume im Mondlicht, und vor ihr erstreckt sich eine langer, dunkler Garten. Dann vernimmt sie ein Röcheln hinter dem Gebüsch – jemand ringt nach Luft. Zuerst will sie weg, aber ihr kommt der Gedanke, dass da ein Mensch liegen könnte. Sie betritt den Garten und findet Arteria neben einem menschlichen Körper, der scheinbar reglos auf der Wiese liegt – nur der Brustkorb hebt und senkt sich. Exozidou stockt der Atem. Weil sie kein Handy dabei hat, klingelt sie bei Nachbarn, die den Notfalldienst rufen. Wenige Minuten später rückt der Krankenwagen an. Der Mann wird ins Ludwigsburger Krankenhaus gebracht und noch in derselben Nacht einer Notoperation unterzogen.

Etwas mehr als einen Monat später steht dieser Mann wieder in seiner Korntaler Wohnung. Mike Williams, 1,90 Meter groß, 100 Kilo schwer, wurde nach seinem Unfall Ende März wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Von seinem Balkon in fünf Meter Höhe zeigt er in den Garten, in dem er vor vier Wochen lag und um sein Leben kämpfte. „Ich bin wohl gestürzt“, sagt Williams. Sicher ist er sich aber nicht, denn durch den Sturz habe er einen Teil seines Gedächtnisses verloren. „Ich weiß nichts mehr. Auch an die Tage zuvor erinnere ich mich nicht mehr.“

Sein Balkon ist klein, vielleicht drei Quadratmeter groß. Ein Wäscheständer soll dort gestanden haben. „Vielleicht wollte ich eine Zigarette rauchen, habe mich aus der Tür gezwängt und dann das Gleichgewicht verloren“, überlegt Williams. Das Geländer reicht dem Hünen gerade so bis zur Hüfte – bis vor ein paar Tagen war es noch verbogen. „Ich muss mich also daran festgehalten haben“, vermutet Williams. Ein Nachbar habe das Geländer inzwischen wieder repariert.

Jetzt muss sich die Familie um Reha-Papiere kümmern

Der 45-Jährige lag die ersten vier Nächte nach seinem Sturz im Koma. Mit einem Schlauch im Hals sei er im Krankenhaus aufgewacht. Seine Lungen waren geschädigt, zudem hatte er mehrere Rippen- und einen Schlüsselbeinbruch. „Die Brüche sind verheilt. Das Atmen fällt mir aber schwer“, sagt Williams. Vielleicht, weil er so sportlich sei, stehe er wieder einigermaßen auf den Beinen. Viel machen könne er aber nicht: „Mir geht sofort die Puste aus.“

Seine Eltern, John und Lucia, sind aus Frankfurt angereist, um ihrem alleinstehenden Sohn im Alltag unter die Arme zu greifen. Momentan helfen sie ihm mit den Reha-Papieren: „Der nahtlose Übergang in die Reha hat nicht geklappt“, sagt die Mutter. „Wir sind überfordert, dass wir das auf uns nehmen müssen und die Ärzte nichts eingeleitet haben.“ Ob er seinen Job als Sonnenschutzfolien-Monteur weitermachen kann, weiß Williams nicht. Eine Metallplatte, die ihm in die Schulter operiert wurde, schränkt seine Bewegungen ein.

Lucia Williams ist froh, dass ihr Sohn überhaupt noch lebt. „Ohne den Hund wäre mein Sohn gestorben“, sagt sie. Während sich Mike Williams noch auf dem Weg der Genesung befindet, informiert ein Nachbar die Eltern, dass es Anastasia Exouzidou und Arteria waren, die ihren Sohn im Garten fanden. Ende März statten John und Lucia Williams der Korntaler Friseurin einen Besuch in ihrem Salon ab. „Wir haben Arteria als Dank ganz viele Leckerlis gebracht“, sagt Lucia Williams.