Helge Schneider am Faschingsdienstag in Stuttgart – das hat Tradition. Bloß letztes Jahr war er in Rente, sagte er. Jetzt ist er wieder da: stark wie immer.

Stuttgart - Wir wissen nicht, was Helge Schneider am Faschingsdienstag vor einem Jahr gemacht hat: Vielleicht hat er Karten gespielt oder war joggen oder hat den ganzen Tag geschlafen. Uns aber war am Faschingsdienstag vor einem Jahr ganz schön langweilig, als sich Helge Schneider laut eigener Aussage in Rente befand, jedenfalls nicht – wie seit Ewigkeiten immer – in Stuttgart auf der Bühne. Wieder so ein Fall, bei dem man den Wert einer Tradition erst dann vollumfänglich erkennt, wenn sie schon weggefegt ist vom Lauf der Zeit: Faschingsdienstag ist Helge-Schneider-Tag. Oder war. Nein, ist wieder. Oder, wie Helge Schneider selbst das sehr weise auf der Bühne des Beethovensaales ausdrückt: „Ich war vor nicht allzu langer Zeit nicht hier.“

 

Helge Schneider tippelt gebeugt auf die Bühne. Dann beugt er sich lautlos über das Klavier, neigt den Kopf noch tiefer, spielt ein Nickerchen. Er hat ja sein Tourneeprogramm in diesem Jahr unter das Motto „Lass knacken, Oppa!“ gestellt. Schließlich ein Ton, erst nur ein einziger, dann mehrere, die er sich – das sagt sein Gesicht – offensichtlich unter Schmerzen abringt, und die sich bald zu einer Art besonders avantgardistischer Experimentalmusik verdichten.

Die sperrige Blubbermucke mündet in Jazz, der Jazz mündet in eine Order an den Teebutler Bodo. Dann schlürft Helge Schneider Kamillentee, so wie er es gemacht hat, bevor er sich vor zwei Jahren in die Rente verabschiedet hat. „Viele Stars trinken Tee während ihrer Shows“, sagt er. Daraufhin stellt er fest: „Ihr seid nicht verkleidet, wie ich sehe. Doch, paar sind schon verkleidet – als Normale.“ Und schon muss man lachen ob der lakonischen Genialität des sechzigjährigen Vollblutmusikers und Vollblutspaßmachers aus Mülheim an der Ruhr.

Erst Bäume, dann Lockenwickler

Es läuft dann wie immer, seit sich Helge Schneider vor einem Vierteljahrhundert entschlossen hat, seine vielen überbordenden Talente zu seiner ganz eigenen Disziplin zu vereinen – nur noch ein bisschen extremer: Seine formidable, für Schneiders Verhältnisse riesige sechsköpfige Band hat der Entertainer diesmal grotesk in die linke hintere Ecke der Bühne gequetscht. Das sämig grummelnde Saxofon, die verspielt herumspazierende Gitarre, die coolen Rhythmiker um die Schlagzeug-Legende Willy Ketzer – sie alle haben ohnehin meistens Pause, weil Helge Schneider zum Beispiel beim Butler Bodo einen Gitarrengurt bestellt, bloß, um ihn in die Ecke zu pfeffern.

Oder weil er bei seinen Streifzug durch die Gefilde des Absurden die Entwicklung des Planeten Erde folgendermaßen zusammenfasst: „Erst kamen die Bäume. Dann schreiben wir das Jahr 1999 – Erfindung des drahtlosen Lockenwicklers.“ Mit seinen scheinbar freien Assoziations-Kaskaden lotet Helge Schneider das Grauen des Grotesken aus und liefert zugleich verblüffend schmerzlose Lösungsstrategien: Einmal bleibt seine Hand kunstvoll im Loch seiner Gitarre stecken.

Aber unter Zuhilfenahme der Bodo’schen Standfestigkeit rupft er sie wieder heraus und sattelt dann eben auf die lochlose, elektrisch verstärkte Gitarre um. Dieses Genie des scheinbar Banalen erklärt seinem Publikum zweieinhalb Stunden lang, dass alles höchst schwierig ist, sofern man sich’s nicht einfach macht. Das ist die Quintessenz zweier ausverkaufter Abende im Beethovensaal – die der Großmeister des Grotesken so schnöde natürlich nicht formuliert.

Nein, der Großmeister leitet das her, elegant mit dem Mikrofonkabel hadernd, dem Gitarrengurt, dem Mikroständer, der Anzughose, bloß nie mit der Beschäftigungslosigkeit seiner famosen Band.

Ein leidenschaftlicher Andersmacher

Schwupps, und dann gibt diese Band von einem Moment auf den anderen alles, auch in Helge Schneiders Kultsongs „Katzeklo“ und „Es gibt Reis“ oder in der ausladenden Nummer, in der Schneider mit immer neuen Textkapriolen das Schicksal des Meisenmannes und eines Wurms erzählt. Kaltstart um Kaltstart zaubern diese Musiker einen leichten, warmen Groove herbei, jazzig, bluesig, gefühlstrunken schlagerig auch, wenn’s sein muss. So hingebungsvoll distanzlos, wie der Chef höchstselbst mittlerweile schönsingt, wenn er mit ausklappbaren Schlabbervokalen die Symbolkraft von „Hunderttausend Rosen“ beschwört.

Zugleich jedoch beherrscht dieser Verfechter des Vorläufigen die große Kunst, Ironie aus dem Jaulen einer Hammondorgel ebenso beiläufig zu extrahieren wie aus der Dramaturgie eines kleinen Songs oder eines großen Abends: „Woanders ist es wirklich scheiße, doch in Stuttgart ist es schön“, singt Helge Schneider, so innig, wie Willy Ketzer sein rituelles Schlagzeugsolo zelebriert, Sergej Gleithmann seine engagierte Tanzgymnastik und Sandro Giampietro an der Gitarre all die harmonieverliebten Schlenker, die Schneiders wagemutige Sehnsuchts-Soundtracks immer wieder mit kleinen Happyends ausstatten.

Erstaunlich gelassen indes präsentiert der leidenschaftliche Andersmacher seine Hits, seine Virtuosität und die Abfallprodukte seiner sensationellen Beobachtungsgabe. Wenn er Lust darauf hat, spielt Helge Schneider mit der Affenpuppe Trompete, mit dem Schmalzschlager Ringkampf und mit dem Publikum Verstecken: Aus einer irgendwie ostasiatisch klingenden Gitarrenliebelei schälen sich alsbald Worttrümmer, die man als radebrechende Anweisung „Heia make sofot!“ verstehen könnte.

Ein leichter und ein großer Abend zugleich! Man könnte diesem renitenten Rückkehrer aus der Rente noch Stunden lang dabei zugucken und zuhören, wie er das Bizarre aus dem Normalen fischt, das Schöne aus dem Hässlichen und andersherum. Wie er nur angeblich klares Fahrwasser mit Lachtränen eintrübt und gleichzeitig der Trübnis Lust am Versteckspiel abgewinnt. Und man will am Faschingsdienstag nie, nie wieder etwas anderes tun.