Altkanzler Helmut Kohl rechnet mit der Euro-Politik der rot-grünen Regierung ab – und greift damit auch Altkanzler Gerhard Schröder an. Er und seine damalige Regierung seien an der Schuldenkrise in Europa verantwortlich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (84) ist in einer Verfassung, die ihn selbst, wohl aber auch seine Gattin grübeln lässt, wie sein Wirken dereinst in den Geschichtsbüchern beurteilt wird. Davon zeugt auch der kuriose Rechtsstreit um Gesprächsprotokolle mit einem früheren Ghostwriter. Die Sorge um das historische Bild, das von ihm und seinen Hinterlassenschaften bleibt, hat den CDU-Patriarchen womöglich bewogen, vorsorglich ein Urteil über die Politik seines Amtsnachfolgers zu fällen, soweit sie das eigene Erbe betrifft. Dazu zählt der Euro.

 

Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, welcher Kohl 1998 aus dem Amtssessel gekippt hat, habe „der Schuldenkrise in Europa den Boden bereitet“, wirft ihm sein Vorgänger in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vor. Der Uraltkanzler rüffelt den Altkanzler, dessen rot-grüne Regierung habe die „verfrühte Aufnahme“ Griechenlands in die Währungsunion ermöglicht, was sich als „teure Fehlentscheidung“ erwiesen habe. Zudem sei der Stabilitätspakt unter Schröder „in Frage gestellt, gebrochen und schließlich aufgeweicht“ worden. Das nennt Kohl „ein Schandstück deutscher Politik“. Und: Schröders Regierung habe die Schuldenlimits ignoriert, weil „wichtige Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen für unser Land schlicht aufgeschoben“ worden seien. So weit der O-Ton vom Denkmalssockel herab.

Gegen den schlichten Befund ist wenig einzuwenden. Die Fakten stehen für sich. Zur historischen Wahrheit zählt freilich auch, dass Kohl selbst am Ende seiner Amtszeit wichtige Reformen verschleppte – und nicht zuletzt deshalb auch abgewählt wurde. Die Konstruktionsfehler des Stabilitätspaktes gehen auf seine Regierungszeit zurück. Der Historiker Heinrich August Winkler schreibt in seinem jüngst erschienenen dritten Band zur „Geschichte des Westens“, Kohl habe mit der europäischen Währungsunion zu damaligen Konditionen „einen hohen Preis“ für die Wiedervereinigung bezahlt. Er habe in Kauf genommen, dass „die Deutsche Mark einer europäischen Währung weichen“ musste, „bevor Europa seine politische Identität gefunden“ habe. Dieses „Risiko um der deutschen Einheit willen“ sollte in Geschichtsbüchern nicht unterschlagen werden.