Die Bildhauerin Roswitha Zimmerle-Walentin empfängt in dieser Woche Besucher zu einer vorweihnachtlichen Werkschau. Dabei beschäftigt sie sich auch mit den Formen des Alleinseins.

Hemmingen - Einsam ist sie nicht. Während Roswitha Zimmerle-Walentin mit dem Besucher durch den großen Flur ihres Hauses in Hemmingen geht und Holzschnitte erklärt, erklingt Musik vom Flügel. Gefällige Melodien und Akkorde, Hintergrundmusik wie in einer Bar. Der Teppich aus Klängen beschert eine weiche Grundlage für das Gespräch. Am Flügel sitzt Peter Pietsch, 78, der Lebensgefährte der Künstlerin. Auch am Sonntag, bei der Vernissage der neuen Atelierausstellung, hat Pietsch gespielt. So bekommen die Arbeiten von Zimmerle-Walentin, kleine und große figürliche Plastiken, bekommen Engel, auch auf mehrfarbigen Holzschnitten, eine andere Anmutung. Handgemachte Töne sind eben anders als Radio.

 

Roswitha Zimmerle-Walentin hat sich bei ihren Arbeiten im letzten halben Jahr am Motto „Einsam oder lieber gemeinsam“ orientiert. Das sei das richtige Thema zur Adventszeit, meint sie. „Es ist schlimm, wenn man einsam ist.“ Deshalb zeigen ihre neuen Arbeiten auch Paare, oftmals stilisiert. Deshalb denke sie auch an die Menschen, die als Flüchtlinge „in ein fremdes Land mit einer ganz anderen Kultur“ kommen. Wie einsam müssten sie sich hier fühlen. Überhaupt: alleine sein sei etwas ganz anderes als einsam sein. Sie selbst fühle sich in Hemmingen sehr wohl, „ich habe viele Nachbarn, kann Hilfe erwarten, wenn ich Hilfe brauche. Ich bin hier zuhause, bin hier verankert. Die Menschen kommen gerne zu mir, das bereichert mich.“

Seit 1970 lebt die 71-Jährige in Hemmingen, sie zog damals zu ihrem Ehemann Hermann-Christian Zimmerle. Ein „studierter Bildhauer“ sei er gewesen. Er habe als Künstler noch in einer Schokoladenfabrik arbeiten müssen. Aus diesen Worten kann man nie vergangene Liebe ebenso heraushören wie Ehrfurcht und Respekt. Zimmerle starb 1995. Sieben Jahre zuvor hatte sich das Ehepaar von seiner Tochter verabschieden müssen: Nicole wurde nur 14 Jahre alt. Diese Trennungen beschäftigen die Bildhauerin heute noch. Zimmerle-Walentin gibt freimütig zu, dass zwei ihrer Plastiken, die auf dem Hemminger Friedhof stehen, auch damit zu tun haben. Ob sie deshalb so viele Schutzengel schafft? Einen mannshohen aus einem Lindenstamm, den mag sie besonders. Verluste musste die Älteste von neun Geschwistern schon in der Jugend bewältigen. Mitten in der Arbeitsphase der Eltern, Gastwirte und Metzger im Allgäu, brannte 1955 das Haus ab. „Da ist alles von vorne losgegangen. Da war nix mit Kunst, da ging’s um die Wurst.“

Der Bildhauerei näherte sich Roswitha Zimmerle-Walentin erst 1988 nach dem Tod der Tochter. Mit 45 fing sie ein Studium in Nürtingen an, „unter lauter jungen Menschen, das hat mich aus der Trauer herausgerissen“. Bis dato hatte sie als Köchin, Caféwirtin und Kantinenchefin gearbeitet. Der Ehemann wurde zum kritischen Begleiter der angehenden Künstlerin. Zahlreiche Objekte entstanden, auch große aus Holz mit der Kettensäge. Bronze und Holzschnitt folgen. Mit den Jahren wurde sie im Land bekannt, Ankäufe sicherten den Lebensunterhalt. Ihre Arbeiten stehen heute nicht nur im Strohgäu oder bei Firmen in Stuttgart. Auch am Sonntag fanden sich wieder unerwartet viele Liebhaber von Kleinplastiken und Holzschnitten. Wieder ein paar Monate finanziert.

In dieser Zeit wird die Künstlerin nochmals neu anfangen. „Ich verkleinere mich.“ Den Werkstattbau nützt künftig jemand anderes, sie gibt die großformatige Arbeit mit Holz und Stein auf, richtet sich im Wohnhaus ein kleines Atelier ein, um mit Ton zu modellieren und Holzschnitte zu drucken. „Ich habe Lust, die restlichen Jahre etwas aufzusaugen und weiterzugeben.“

Als Künstlerin habe sie sich manchmal in der Werkstatt schon als einsam empfunden, „ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann, der ehrliche Antworten gibt“. Da sei sie froh über Besuche jüngerer Kolleginnen. Einige von ihnen haben 2013 beim Bildhauersymposium im Schlosspark mitgearbeitet, das sie mit organisiert hatte.

Gemeinsamkeit erlebe sie auch im Bund der freischaffenden Bildhauer, nicht nur bei Gruppenausstellungen. Für 2015 sind schon drei verabredet, dazu Einladungen in andere Ateliers. „Es gibt keinen Stillstand.“ Dann erzählt sie noch von ihrer Mutter, heute 91, die immer „so unendlich viel hat schaffen müssen“. Zwar nicht mit Stechbeitel, Motorsäge, Ton und Druckpresse. Aber irgendwie scheinen sich Mutter und Tochter zu gleichen.