Fünf Männer erschossen 2007 kaltblütig sieben Menschen. Einer von ihnen darf jetzt in der Dokusoap „Henssler hinter Gittern“ (RTL) kochen. Der Streit darüber zieht jetzt Kreise bis in die Politik.

Er hat nicht lange gezögert, als er gefragt wurde, ob er nicht Lust habe, bei Steffen Henssler in die Schule zu gehen, dem bekannten Sterne-Koch, dem TV-Star. Na klar, hat er gesagt. Nicht mehr lange, und er wird vorzeitig entlassen, wegen guter Führung. Warum also nicht teilnehmen an diesem vierwöchigen Crashkurs, Kochen im Knast? Und RTL ist dabei, Deutschlands größter Privatsender.

 

Er, das ist Van Hiep V., einer der fünf Männer, die in der Nacht zum 5. Februar 2007 in dem Restaurant „Lin Yue“ im niedersächsischen Sittensen sieben Menschen kaltblütig erschossen. Van Hiep ist ein stiller Typ. Man begegnet ihm in einer der nächsten Folgen der RTL-Dokusoap „Henssler hinter Gittern“. Er spielt darin keine Hauptrolle, aber in einer Szene, sagt der JVA-Leiter Carsten Bauer, der alle vier Folgen im Rohschnitt gesehen hat, werde man ihn beim Gemüseschnippeln erleben.

Resozialisierung – geht das mit Hilfe einer Dokusoap?

Van Hiep V. wird darüber sprechen, warum er hier in der JVA Bremen-Oslebshausen für vierzehn Jahre sitzt: wegen Raubes mit Todesfolge. Und er wird, daran jedenfalls meint Carsten Bauer sich noch zu erinnern, versichern, dass er seine Tat aufrichtig bereue. Ist es legitim, einem Mann eine Bühne zu verschaffen, dessen Namen mit einem der „schlimmsten Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg“ verknüpft ist, wie das Landeskriminalamt Niedersachsen in einer Pressemitteilung erklärt hat? Steht so jemandem nicht zu, was jedem anderen Häftling auch zusteht: eine Chance auf Resozialisierung? Aber eignet sich eine Dokusoap als Instrument?

Und was ist mit den Hinterbliebenen der Opfer, insbesondere mit der Tochter der erschossenen Restaurantbesitzer? Sie war die einzige, die das Blutbad überlebte, als zweijähriges Kind. Kann man ihr zumuten, dass sich der Komplize der Mörder ihrer Eltern sich als geläuteter Sünder im Fernsehen präsentiert?

Um diese Fragen ist jetzt ein Streit entbrannt, der seine Kreise bis in die Politik zieht. Es war die Opfer-Organisation „Der Weiße Ring“, die als erste gegen das Format protestierte. Auf ihrer Homepage weist sie auf die Gefahr hin, dass das Format die neunjährige Tochter der getöteten Restaurantbesitzer retraumatisieren könnte. Mittlerweile hat aber auch die Polizeigewerkschaft in den Chor der Kritiker eingestimmt. „Obszöner Klamauk“ sei die Dokusoap, echauffierte sich der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft, Rainer Wendt. Und er richtete seine Kritik direkt an Bremens Justizsenator Martin Günthner (SPD), der die Dreharbeiten genehmigt hatte. Darauf verweist der RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger, wenn man ihn auf die Kritik an dem Format anspricht.

Der Justizsenator steht in der Kritik

Selber war der Justizsenator zwar nicht an der Auswahl der Kandidaten beteiligt. „Unsere Abteilungsleiterkonferenz hat die Männer ausgewählt“, sagt der JVA-Leiter Carsten Bauer. der Stuttgarter Zeitung. Aber hätte der Senator nicht stutzig werden müssen, als er den Namen Van Hiep V. auf der Liste der JVA entdeckte?

Jetzt muss sich Günthner vorwerfen lassen, er habe seine Aufsichtspflicht verletzt. Die Kritik der Polizeigewerkschaft geht noch weiter. „Es wird höchste Zeit, dass die Justizminister der Länder sich auf ethische Mindeststandards für den Strafvollzug verständigen. Sonst erleben wir demnächst „Deutschland sucht den Super-Verbrecher“, fordert Rainer Wendt.

Resozialisierung? Ja. Aber nicht in einem Massenmedium, nicht im Unterhaltungsprogramm von RTL. Das sagt der Kriminologe Bernd Maelicke, einer der engagiertesten Verfechter für eine bessere Integration von Gefängnisinsassen in den Arbeitsalltag. Er sagt, mit „Henssler hinter Gittern“ sei es, wie mit den meisten TV-Krimis. „Sie vermitteln Zerrbilder vom Alltag im Knast.“ Der sei in der Regel völlig langweilig, deshalb müsse das Fernsehen skandalisieren. Der JVA-Leiter Bauer steht trotzdem zu dem Format. „Reißerisch, aber fair“, findet er die Darstellung. Er sagt, das sei eben der Preis, den man dafür bezahlen müsste, wenn so eine Soap vor Millionenpublikum bei RTL laufe und nicht bei Arte. Es gehe darum, den Zuschauern die Ängste vor dem Knast zu nehmen und den Gefangenen eine berufliche Perspektive zu geben. Ein krisensicherer Job nach der Entlassung sei der wirksamste Schutz gegen einen Rückfall.

Was Bauer nicht sagt: die JVA Bremen verfolgt auch ein wirtschaftliches Interesse mit der Dokusoap. Die Häftlinge haben zusammen mit dem TV-Koch ein kulinarisches Produkt entwickelt, das die JVA nach der vierten Folge auf den Markt bringt. Noch ist es geheim. Der Name Henssler soll aber helfen, den Absatz zu beflügeln.

Man hätte den Hamburger Sternekoch gerne gefragt, was das denn für ein Produkt sei, ob er am Gewinn beteiligt werde – und ob er tatsächlich auch nur einen einzigen Gefangenen in seinen Restaurants beschäftigen werde. Doch auf eine Anfrage an seinen Pressesprecher bekommt man keine Antwort. Henssler wird wissen, warum.

RTL, 20.15