Die Standortsuche des Landes für Sondermüllverbrennungsanlagen vor 25 Jahren stößt im Kreis Böblingen auf erbitterten Widerstand. Bürgerinitiativen gründen sich. Sie gibt es bis heute – wie eine Ausstellung zeigt.

Herrenberg/Böblingen - Ruhig ist es geworden um die Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept – Vermeiden statt verbrennen“. Aber es gibt sie noch. Dieser Tage macht sie wieder von sich reden. Denn zum 25-jährigen Bestehen der Organisation wird am Mittwoch, 15. April, die Ausstellung „Upcycling – Direktverwendung“ in der Herrenberger Volkshochschule eröffnet. Und damit ist auch klar: Müll(vermeidung) ist nach wie vor ein Thema.

 

Doch die turbulenten Zeiten mit Großdemonstrationen, Sternmarsch, Menschenkette und Experten-Runden sind vorbei: „Das war irrwitzig zeitaufwendig neben Familie und Beruf“, sagt Maya Wulz, „das ging an die Substanz.“ Die Herrenberger Grünen-Stadträtin gehört wie Klaus Ulbrich zu den Gründungsmitgliedern der Herrenberger Bürgerinitiative „Vermeiden statt verbrennen“. Die Suche des Landes nach einem Standort für eine Sondermüllverbrennungsanlage trieb sie vor 25 Jahren auf die Barrikaden. Herrenberg-Gültstein war als ein möglicher Standort im Gespräch – neben dem Flugfeld in Böblingen. Auch dort regte sich Widerstand. Es entstand die Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept“ mit Ulbrich als einem der Gründer. Er ist heute der Vorsitzende der fusionierten Initiativen.

Bürger, Kreis und Kommunen zogen an einem Strang

Die Bürger hatten starke Verbündete in ihrem Kampf gegen eine Sondermüllverbrennungsanlage: den Landkreis und die Kommunen. „Alle zogen an einem Strang“, sagt Maya Wulz. In Böblingen sogar noch Industrieunternehmen wie etwa IBM. Der Konzern habe damals noch auf dem Flugfeld eine Chipfabrik mit Reinräumen betrieben, berichtet Alexander Vogelgsang, zu jener Zeit Oberbürgermeister von Böblingen. Eine Sondermüllverbrennungsanlage mit Emissionen in unmittelbarer Nachbarschaft konnte der Chiphersteller am wenigsten gebrauchen.

Außer den Mitstreitern an ihrer Seite zeichnete den Protest der Bürger noch etwas aus: Ihr Widerstand war wohlbegründet. Klaus Ulbrich etwa nahm die Zahlen, die das Land wegen der geplanten Sondermüllverbrennungsanlage präsentierte, nicht so hin. Denn das Land habe die Mengen, die ihr die Industrie nannte, einfach hingenommen und auch keinerlei Anreize zur Vermeidung geschaffen, sagt Ulbrich. Er und seine Mitstreiter hinterfragten die angeblich anfallenden Abfallmengen, stellten eigene Recherchen und Berechnungen an – und mobilisierten die Bürger.

Zehntausende gingen bei Demonstrationen in Herrenberg, Böblingen und Sindelfingen auf die Straße. Familien hätten sich an dem Sternmarsch in Herrenberg beteiligt, sagt Maya Wulz und zeigt Aufnahmen von damals. Der Böblinger Alt-Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang kann sich noch gut an die „Emotionalisierung und Politisierung der Bevölkerung“ erinnern. Und daran, dass er oftmals vor Tausenden von Menschen sprach: „Das ist in unseren Mittelstädten normalerweise nicht üblich.“

Der Widerstand wirkte. Die Landesregierung zog, nachdem die Mengen für den anfallenden Sondermüll deutlich zurückgegangen waren, ihre Pläne zurück. Nicht ganz so erfolgreich waren die Bürgerinitiativen in ihrem Kampf gegen das damals ebenfalls geplante Restmüllheizkraftwerk im Wald bei Böblingen, das der Landkreis betreibt. Verhindern konnten sie den Bau der Anlage zwar nicht. Aber sie erzielten Teilerfolge. Denn der Müllmeiler fiel am Ende deutlich kleiner aus als ursprünglich geplant. Er wurde nicht für die Verbrennung von jährlich 240 000 Tonnen Abfall ausgelegt, sondern nur noch für 140 000 Tonnen. Und die Menge kommt auch nur zustande, weil auch Müll aus Stuttgart, den Kreisen Freudenstadt und Calw in der Anlage verbrannt wird.

Der Müllmeiler wird kleiner als geplant

Der kleinere Müllmeiler ist ein Verdienst der Bürgerinitiativen. Seit 1999 ist er in Betrieb – kein Grund für die Bürgerinitiativen, das Handtuch zu werfen. „Wir standen nie vor der Auflösung“, sagt Maya Wulz. 2002 schlossen sich die beiden Organisationen zu dem Verein „Das bessere Müllkonzept – Vermeiden statt verbrennen“ zusammen. Er zählt heute rund 400 zahlende Mitglieder, darunter sind auch Familien, und es gibt eine eigene Zeitung, den „Giftzwerg“. Zu den Hochzeiten der Mülldebatte im Kreis seien es 1100 gewesen, sagt Klaus Ulbrich. Wenn nicht sogar mehr, wirft Maya Wulz ein. Noch immer schärfen sie das Bewusstsein ihrer Mitmenschen, wenn es um Müllvermeidung geht, und mischen sich bei Diskussionen bei Abfallthemen ein – wenn auch leiser als einstmals. So etwa bei der im vergangenen Jahr initiierten Petition zum Gelben Sack eines Kreisbewohners. „Das ist ein Irrweg“, sagt Ulbrich. Weil er die Leute nicht dazu anrege, Müll zu vermeiden. „Der beste Müll ist der, der erst gar nicht entsteht“, betonen er und Wulz. Dafür will die Initiative in nächster Zeit wieder stärker werben.

Ulbrich, Wulz und ihre Mitstreiter reden nicht bloß, sondern machen: Seit Jahrzehnten etwa organisieren sie große Warentauschbörsen in Herrenberg und Sindelfingen. Und mit der bevorstehenden Ausstellung „Upcycling“ zeigen sie, dass man Tetrapacks und ausrangierten Gesangbücher durchaus noch nutzen kann.

Müll wird wieder verwendet

Vernissage
Die Ausstellung „Upcycling – Direktverwendung“ zum 25-jährigen Bestehen der Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept – Vermeiden statt verbrennen“ wird am Mittwoch, 15. April, um 11 Uhr eröffnet. Die Schau ist in der Galerie im Kulturzentrum, Tübinger Straße 40 in Herrenberg, bis Mittwoch, 13. Mai, zu sehen. Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag jeweils von 8 bis 18 Uhr.

Upcycling
Aus Abfall oder scheinbar nutzlosen Stoffen entstehen neue Produkte. Das Phänomen des Upcyclings kennen vor allem Gesellschaften aus Entwicklungsländern. Aber auch hierzulande wird es mehr und mehr entdeckt. In Freiburg beispielsweise findet seit 2013 die Frei-Cycle Designmesse für Recycling & Upcycling statt. An dem Wochenende vom 12. und 13. September ist es wieder soweit. Nähere Informationen im Netz unter frei-cycle.de.