Anwälte wollen das verschwundene Geld des Skandalunternehmens EN Storage ersatzweise bei den Prüfern eintreiben. Der Insolvenzverwalter Holger Leichtle beurteilt deren Arbeit als „zumindest fahrlässig“.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Es gibt renommiertere Adressen in der Landeshauptstadt Stuttgart. Zum Wilhelmsplatz im Stadtteil Bad Cannstatt, umtost von Verkehr und gesäumt von Treffpunkten Alkoholseliger, sind es wenige Schritte. Der direkte Nachbar im Haus ist ein Nagelstudio. Hier residiert, im Erdgeschoss eines Backsteinbaus, eine Kanzlei. Vier Partner und sechs Angestellte beschäftigen sich mit Rechts-, Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung. Letzteres ist für die Zukunft der Kanzlei womöglich entscheidend. Im Extremfall könnten sich in dem Haus Schadenersatzforderungen über mehr als 90 Millionen Euro sammeln. Die ersten sind verschickt.

 

Der Bau ist Sitz der Kanzlei, die der Herrenberger Skandalfirma EN Storage bis zu deren jähem Ende glänzende Bilanzzahlen bescheinigte. Überdies bescheinigten die Wirtschaftsprüfer Anlegern Geschäfte, die es nie gab. Wie berichtet, hatte die Staatsanwaltschaft im Februar die Büros von EN Storage durchsucht. Kurz darauf wurde der Betrieb eingestellt. Beide Geschäftsführer sitzen wegen Betrugsverdachts in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft schweigt, aber offenbar ist der Verdacht erhärtet. Nach einem halben Jahr muss eine Untersuchungshaft entweder beendet oder vom Oberlandesgericht verlängert werden. Letzteres ist erfolgt.

Die Fahnder durchleuchten auch Führungskräfte von Scheinfirmen

Neben den Geschäftsführern von EN Storage durchleuchten die Fahnder Führungskräfte von Scheinfirmen. Ob die Ermittlungen auch auf die Wirtschaftsprüfer ausgeweitet werden, „wird noch geprüft“, sagt Jan Holzner, der Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. „Bisher besteht kein Tatverdacht.“

Den Prüfern „ist zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen“, meint Holger Leichtle, der Insolvenzverwalter für EN Storage. Leichtle schätzt den Schaden auf 95 Millionen Euro. Das Geld stammt von rund 2000 Anlegern. 1000 Euro war die geringste, 700 000 Euro die höchste Summe, die sie dem Unternehmen im Glauben überließen, ihr Kapital werde mit bis zu sieben Prozent verzinst. Mit den Einlagen sollten Server angeschafft und zwecks Datenspeicherung vermietet werden. Stattdessen ist das Geld verschwunden. Es floss von Herrenberg über Ungarn und Asien ins Ungewisse.

Ersatzweise versuchen Juristen jetzt, den Verlust bei Anlageberatern einzutreiben, die Wertpapiere von EN Storage empfohlen haben, nun auch bei den Wirtschaftsprüfern. Der Stuttgarter Anwalt Florian Hitzler hat den Prüfern Schadenersatzforderungen ins Haus geschickt. Er vertritt rund 100 geschädigte Anleger und will von den Wirtschaftsprüfern insgesamt eine bis zwei Millionen Euro. Die genaue Höhe sei nicht vorhersehbar. „Wir gehen zunächst außergerichtlich vor“, sagt Hitzler. „In der Praxis werden häufig Vergleiche angeboten.“ Ob eine Klage nachgereicht werde, entscheide sich im Herbst.

Ein Geschädigtenanwalt wirft den Prüfern grobe Fahrlässigkeit vor

„Zumindest grobe Fahrlässigkeit“ wirft Hitzler den Wirtschaftsprüfern vor. Ein Partner der Kanzlei hatte Anlegern auf Eigentumszertifikaten bestätigt, dass mit deren Geld Server gekauft wurden. Sogar Gerätenummern waren vermerkt. „Die Storage-Systeme befinden sich in einem Rechenzentrum und dienen der Datenlagerung.“ So hatte es der Partner der Kanzlei mit seiner Unterschrift bescheinigt. Aber es gab kein Rechenzentrum, jedenfalls kein nennenswertes. „Wer dem Insolvenzverwalter zugehört hat, weiß, dass schon jahrelang keine Server angeschafft wurden“, sagt Florian Hitzler.

Zwei andere Partner der Kanzlei bestätigten, dass die Firma EN Storage von April 2015 bis März 2016 Server im Wert von 28 Millionen Euro aufgeschaltet habe. In der letzten Bilanz waren 55 Millionen Euro Umsatz und sechs Millionen Gewinn ausgewiesen. Die Zahlen seien „überwiegend auf der Basis von Stichproben beurteilt“ worden, vermerkten die Prüfer und unterschrieben mit Datum vom 25. April 2016: „Unsere Prüfung hat zu keinen Einwendungen geführt.“ Als Eigenkapital waren in der Bilanz des Unternehmens fast 15 Millionen, als Anlagevermögen exakt 11 505 713 Euro angegeben. Der Insolvenzverwalter listet als Vermögen Büroausstattung und geleaste Firmenwagen auf. Geschätzter Wert: 70 000 Euro. Von den angeblichen Millionen fand er 430 000 Euro.

Gemäß Handelsgesetzbuch sind Bilanzen so zu prüfen, dass „Unrichtigkeiten und Verstöße bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden“. Einer der Kanzleipartner macht geltend, er habe nur als Gesamtverantwortlicher mitunterzeichnet. Der Prüfer sei der andere mitunterzeichnende Partner gewesen, der Ende 2016 die Kanzlei verlassen habe. Beide beantworten keine weiteren Fragen zum Thema.