Helmut Krauß experimentiert gern – für Schnaps. In der schwäbischen Toskana kultiviert der Landwirt neues Obst. Sein größter Fehler war zu viel Wärme für den Pfirsich. Der verträgt nämlich keinen Frühjahrsfrost.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Herrenberg - Schon sein erster Pfirsichbaum war eine Ausnahmeerscheinung: Er wurde mehr als 40 Jahre alt. „Das ist laut Experten kaum der Fall“, sagt Helmut Krauß. Aus Spaß hatte er einen Kern in die Erde gesteckt, und der schlug Wurzeln. Das Eigengewächs nahm der Landwirt sogar mit, als er 1973 im Herrenberger Stadtteil Gültstein von der Ortsmitte an den Rand zog. „Ich habe die ganze Verwandtschaft mit Pfirsichen versorgt“, erzählt er. Und weil er Schnapsbrenner ist, destillierte er einen Teil der Ernte. Aber die Menge reichte nie aus. Jetzt hat Helmut Krauß sein Experiment ausgeweitet und eine Versuchsplantage angelegt – als Einziger im Kreis Böblingen. „Um Heilbronn gibt es mehr Pfirsich, hier ist es die Ausnahme.“

 

Die Voraussetzungen sind seiner Meinung nach durch den Klimawandel bestens. Schwäbische Toskana wird die Südlage unterhalb des Schönbuchs schließlich genannt, sie reicht bis zur Ammer. Immer ein paar Grad wärmer als in Herrenberg und in Kuppingen sei es hier, und der Frühling sei immer eine Woche früher dran. „Das macht viel aus“, sagt Helmut Krauß. Zumal der Pfirsich nicht Bedingungen wie in Italien braucht. Das hat der Landwirt von einem bei der Stadt Stuttgart beschäftigten Experten für Pfirsich erfahren, der sich auch in Sachen Aprikose auskennt: Denn die Bäume stammen nicht aus dem Süden, sondern vielmehr aus dem Osten. Der Pfirsich ist in der Ukraine groß geworden, die Aprikose in Ungarn. Also hat Helmut Krauß sein Experiment gleich mit beiden Obstsorten gewagt.

Ausgedehnte Plantage wegen des Hagels

Auf Grundstücken zwischen der Herrenberger Stiftskirche und dem Ammerbucher Ortsteil Breitenholz hat er seine Plantage ausgedehnt. So kann ihm ein möglicher Hagel den Ertrag nicht komplett vernichten. Gegen die Viruskrankheit Scharka, die seine Zwetschgen befallen hatte, fand er ein anderes Mittel: Die alten Bäume haute er raus und setzte stattdessen Pfirsich sowie Aprikose. Rund 20 Stück sind es mittlerweile. Im Hausgarten läuft der Versuchsanbau, dort kann der Bauer am besten beobachten, wie sich die Pflanzen entwickeln. „Ich bin immer noch am Experimentieren, welche Sorte funktioniert“, erklärt er. Die Ungarische Beste musste er sofort ausmustern, weil diese Aprikosenart zu früh blüht.

Helmut Krauß’ größter Fehler war zu viel Wärme: „Ich meinte, die Bäume müssen in der Sonne stehen.“ Dabei gedeihen sie an einem kühlen Platz besser als beispielsweise vor einer Hauswand. Im Schatten verzögert sich die Blüte. Und wenn ein Spätfrost kommt, ist nicht gleich alles verfroren. Denn darin liegt der Unterschied zum Osten, hat der Landwirt gelernt: In der Ukraine und Ungarn herrscht ein asiatisches Klima, in Gültstein aber das atlantische. „Die haben einen langen und strengen Winter, aber wenn Frühjahr ist, ist Frühjahr“, erklärt der 72-Jährige. Weinbergpfirsich hat er gepflanzt. Die kleinen Früchte mit der dicken Schale mag seine Frau zwar gar nicht, aber zum Schnapsen seien sie sehr gut, sagt ihr Mann. Dem Geschmack der Gattin entspricht der Red Heaven schon eher, die große fleischige Frucht der Sorte Roter Himmel ist süß und knackig.

Auch die alten Sorten werden erhalten

„Wir erhalten aber auch die alten, angestammten Sorten“, betont Helmut Krauß. Die Palmischbirne beispielsweise, die erstmals 1500 urkundlich erwähnt wurde, die Wahlsche Birne oder Jakob-Fischer-Äpfel. Von Kirschen und Himbeeren, Mirabellen, Schlehen und Zibarten (Wildpflaumen) macht er unter anderem Schnaps. Sein Vater hat die Zwetschgenbäume gepflanzt. Der Sohn hat das Programm weiterentwickelt: Schwäbischen Ouzo aus Trauben, die er an der Stallwand zieht, gehört auch dazu. „In meiner Flasche hält der Pfirsich am längsten“, sagt Helmut Krauß zu dem Obstbaumexperten aus Stuttgart. Der fand nämlich, dass Pfirsich und Aprikose nicht destilliert gehören, sondern nur gegessen. Aber in der Landwirtsfamilie wird seit 1820 Schnaps gebrannt. „Der liebe Gott hat nicht gewollt, dass edles Obst verderben sollt“, lautet das Lieblingszitat des Landwirts.

Die Ernte ist jetzt eingefahren, das Obst liegt im ehemaligen Stall auf der Maische. Seit vier Jahren hat Helmut Krauß einen konstanten Ertrag an Pfirsichen und Aprikosen. Jetzt könne er nicht nur die Verwandtschaft, sondern auch die Kundschaft bedienen, sagt er und ergänzt augenzwinkernd: Wer den Schnaps einmal probiert habe, hole ihn immer wieder. Dabei seien die Früchte für die Gegend schon sehr unspeziell – und bekanntermaßen werden unbekannte Dinge erst einmal kritisch beäugt. Würzig findet er sein Obst aus dem Gäu und überhaupt einen gelungenen Versuch. „Die Leute schmunzeln, aber das ist mir egal“, sagt der Pfirsichbauer über sein Experiment, „menschliche Neugier ist doch angeboren.“