Bei der Herz-Party im Freizeithaus der Paulinenpflege Winnenden haben Menschen mit Behinderung die Gelegenheit, neue Leute und vielleicht sogar die große Liebe kennen zu lernen. Das Angebot ist laut den Veranstaltern einmalig in der Region.

Winnenden - Sie sind aus allen Himmelsrichtungen angereist: von Schorndorf und Rommelshausen, Waiblingen, Backnang und Stuttgart. Denn Feste wie das, welches an diesem lauen Samstagabend im Freizeithaus der Winnender Paulinenpflege steigt, sind rar. Herz-Party nennt sich die Sause, die speziell für Menschen mit Behinderung gedacht ist. Das Motto dabei: „Tanzen, flirten, Musik und neue Leute kennen lernen“.

 

Es ist 20 Uhr, der DJ ist schon zugange, und aus den Lautsprechern schallt Emiliana Torrini. „My heart ist beating like a jungle drum“ singt sie – „mein Herz schlägt wie eine Trommel“. Wenn es heute Abend gut läuft, dann geht es vielen Partygästen genauso. Auf der Bühne des Freizeithauses steht Bastian Matutis und instruiert noch schnell die Festgesellschaft, eine Gebärdendolmetscherin übersetzt seine Worte für die gehörlosen Besucher. „Flirten, flirten, flirten“, ist die Devise, die Matutis für diesen Abend ausgibt. Zwei Zimmer weiter, sagt er, gebe es eine Schminkecke: „Wer keine Zeit mehr hatte, sich richtig hübsch zu machen, kann sich dort helfen lassen.“

Gleich links, die Treppe runter, ist ein Fotostudio, in dem sich frisch Verliebte zusammen mit einem großen roten Rahmen in Herzform ablichten lassen können: „Falls ihr heute Abend jemanden kennen lernt und Angst habt, seinen Namen bis morgen zu vergessen, dann wisst ihr immerhin noch, wie er oder sie aussah.“

Besonders wichtig aber ist das große Herz, das sich alle Gäste ans Revers kleben. Auf jedem prangt statt des Namens eine Nummer, die beim Anbandeln hilfreich ist. Bastian Matutis schaut ins Publikum und stellt fest: „Ah! Nummer neun hält schon Händchen – sehr schön!“

Der Flirt-Engel hilft Schüchternen auf die Sprünge

Draußen vor dem Discoraum hat Janina Maier-Revoredo alle Hände voll zu tun. Sie ist in die Rolle des Flirt-Engels geschlüpft. Da steht sie also im weißen Spitzenkleid, flaumige Engelsflügel auf dem Rücken, und hilft beim Schreiben von Liebesbriefen. Links oben müssen Flirtwillige ihre Nummer eintragen, rechts die des Auserwählten. Darunter können sie wahlweise ihre eigene Botschaft schreiben oder einfach ein Kreuzchen setzen. Passt „Du bist eine süße Maus“ als Kompliment für einen Mann? „Eigentlich schon“, sagt Nummer 27 und wirft einen verstohlenen Blick hinüber zum Objekt der Begierde, entscheidet sich dann aber doch dafür, ihr Häkchen bei „du bist der Mann meiner Träume“ zu setzen. Flirt-Engel Janina schreibt die Nummer des Empfängers auf eine schon ziemlich gut mit Zahlen gefüllte Tafel, so sieht der Angebetete, dass Post auf ihn wartet. Den Brief muss er nur noch abholen. Und dann – mal sehen.

In der Schminkecke bei Marcella Masuzzo steht die Kundschaft Schlange. Hier ein bisschen Wimperntusche, da etwas Kajal – und Lippenstift natürlich. Den Damen malt die 20-Jährige den Mund schön rot, bei den Herren darf es auch die Wange sein. Zufrieden fährt ein Kunde im Rollstuhl mit einem großen Herz auf der Backe davon. Marion Grimm sitzt auf dem Ledersofa im Schminkraum und sagt „Partys dieser Art gibt es allenfalls in Köln oder noch weiter weg.“ Die Sozialpädagogin gehört zum Organisationsteam der Herz-Partys. Die Idee dazu sei bei einer Fortbildung entstanden, erzählt sie: „Wir kamen darauf, dass es für Menschen mit Behinderungen schwierig ist, jemanden kennen zu lernen.“ So haben sie und ihr Kollege Marcel Swoboda andere Einrichtungen wie die Diakonie Stetten, die Nikolauspflege und die Lebenshilfe kontaktiert und vor einiger Zeit die erste gemeinsame Party aus der Taufe gehoben.

Und zwar eine, die diesen Namen verdient. „Die meisten Partys für behinderte Menschen gehen um 15 Uhr los und sind um 19 Uhr rum“, sagt Swoboda. „Dabei wollen die Leute so wie andere in die Disco gehen.“ Und weil die Gäste so wie andere Menschen mal mehr, mal weniger schüchtern sind, bekommen sie im Zweifelsfall vom Team Unterstützung beim Flirten. „Wenn man sieht, da ist Bedarf, nehmen wir schon mal jemanden an der Hand und tanzen mit ihm zum anderen hin“, sagt Grimm, die sich freut, dass von Mal zu Mal mehr Besucher kommen – heute sind es um die 100.

Weil nicht jeder auf dröhnende Beats steht, gebe es seit kurzem auch ein Flirt-Café, erzählt Grimm: „Da geht es etwas ruhiger zu, und es findet nachmittags statt – mit Kaffee und Kuchen, aber auch mit Tanz.“ Wie bei den Herz-Partys sei das Ziel, möglichst viele Kontakte zu schaffen. „Es ist uns schon ein Anliegen, dass da etwas Nachhaltiges entsteht.“