Auch auf Facebook informiert die Ludwigsburger Redaktion über Neuigkeiten aus dem Landkreis – doch die Hetze gegen Flüchtlinge stellt Medien vor eine ganz neue Herausforderung. In der Anonymität des Internets vergessen manche Leser ihren Anstand. Eine Analyse.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Kreis Ludwigsburg - Eines vorab: Wir, diese Zeitung und die Ludwigsburger Redaktion, freuen uns über Leserzuschriften. Über Briefe, Mails, Kommentare auf unserer Facebook-Seite. Das gilt auch für kritische Anmerkungen. Wir diskutieren gerne, und dass sich Menschen mit dem auseindersetzen, was wir tun, ist auch eine Verpflichtung für uns. Eine Verpflichtung, sauber zu recherchieren, neutral zu bleiben, verschiedene Standpunkte zu beachten.

 

Der Austausch mit unseren Lesern ist immer fruchtbar. Dennoch sind nicht nur wir, sondern alle Redaktionen und Medien mit einer ganz neuen Herausforderung konfrontiert. Bei speziell einem Thema scheint eine sachliche Debatte kaum noch möglich. Bei allen Texten, die sich mit Flüchtlingen oder Ausländern beschäftigen, türmt sich eine Welle der Wut auf, manchmal des Hasses. Die Vorwürfe sind immer die gleichen, sie richten sich gegen die Zeitung wie gegen die Politik, Justiz oder Einzelpersonen, die sich für Flüchtlinge engagieren. Tenor: Alle verdrehten die Wahrheit, manipulierten und würden mit der Flüchtlingskrise zusammenhängende Probleme verschweigen.

Eine alternative Meinung wird akzeptiert, Hetze nicht

Die Worte, die manche dabei verwenden, sind hart. „Ich könnte Galle kotzen“, heißt es unter einem kurzen Text, in dem es darum geht, dass die Stadt Ludwigsburg Wohnungen für die Unterbringung von Flüchtlingen sucht. „Die eigenen Bürger werden gnadenlos abgezockt, und den Flüchtlingen schiebt man für Umme alles in den Arsch.“ Solch einen Kommentar löschen wir nicht. Die Meinung, dass Flüchtlinge bevorzugt werden, darf man haben. Man muss sie nicht teilen, kann sie falsch finden, aber das ist Meinungsfreiheit.

Wir lassen auch Kommentare stehen, in denen wir der Lüge bezichtigt werden oder in denen es heißt, wir würden von der Bundesregierung bezahlt. Das stimmt zwar nicht, aber es ist nicht verboten, das zu glauben und zu schreiben. Wie der Facebook-Nutzer, der über die „ekelhafte Justiz“ des Ludwigsburger Amtsgerichts schimpft, weil die Richter einen kriminellen Ausländer zu milde bestraft hätten. Seinen Kommentar darf er veröffentlichen.

Überhaupt, harte Strafen werden gerade gerne gefordert: Hundert Jahre will ein anderer einen ausländischen Angeklagten im Gefängnis sehen, weil er Kinderpornos auf dem Rechner hatte. „Und die Gutachter und Psychologen gleich mit.“

Nicht alle Flüchtlinge sind gut, bei Weitem nicht alle sind böse

All dies darf gedacht, gesagt und geschrieben werden, und trotzdem wird der Redaktion regelmäßig Zensur vorgeworfen. Weil manche Sätze eben nicht geschrieben werden dürfen. Facebook-Kommentare, in denen Menschen massiv beleidigt werden, in denen gedroht wird, in denen zu Hass und physischem Widerstand und Kampf aufgerufen wird, zum Umsturz der Gesellschaft oder Krieg, können wir nicht akzeptieren. Auch nicht, wenn für Sexualstraftäter Kastration gefordert wird, denn der Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Die Welt ist nun einmal nicht nur schwarz oder weiß. Nicht alle Flüchtlinge sind gut, aber bei Weitem nicht alle sind böse oder kriminell.

Doch für Grautöne ist bei Facebook wenig Raum. Oft bleiben Menschen mit der gleichen Einstellung unter sich und schaukeln sich gegenseitig immer höher in die Extreme. „Dieses Phänomen ist seit Anbeginn des Internets zu beobachten“, sagt Oliver Zöllner, Professor für Medienforschung und Digitale Ethik an der Hochschule der Medien Stuttgart. „Menschen wähnen sich im Netz in der Anonymität und handeln überbordend, übergriffig, vergessen alle Regeln des Anstands.“

Diese Form der Hatespeech, also Hasssprache, finde sich auch in linken Foren, aber rechte Hetze sei momentan das dominantere Phänomen. „Menschen mit rechten Einstellungen fühlen sich gerade ziemlich sicher und glauben, dass ihre Thesen mehrheitsfähig geworden sind, obwohl das überhaupt nicht zutrifft.“

Der Hass im Netz ist kein Abbild der öffentlichen Meinung

Es gebe zwar, sagt Zöllner, einen gewissen Prozentsatz in der Bevölkerung, der rechtslastigen Thesen zustimme. Insgesamt sei die öffentliche Meinung aber sehr viel differenzierter und der Hass im Netz keinesfalls ein Abbild davon. „Manche nutzen das Internet nur als Ventil für ihren Frust, viele schreiben Kommentare in verschiedenen Portalen“, sagt Zöllner. „Das sind Leute, die sich möglicherweise nicht mit vielen anderen Dingen im Leben beschäftigen.“ Folglich zeige sich im Netz ein „Überhang an extremen Haltungen“.

Was also tun? Tatsächlich entwickeln sich zu journalistischen Texten ja oft spannende Diskussionen, kontrovers aber konstruktiv. Nur wenn es im weitesten Sinne um Flüchtlinge geht, gelingt das selten. Eine zufriedenstellende Antwort, wie die Debattenkultur verbessert werden könnte, hat auch der Medienexperte nicht. Von Angesicht zu Angesicht komme man an Menschen mit extremen Einstellungen vielleicht noch heran, aber nicht in der Anonymität des World Wide Web. Das Internet sei „für vieles sehr schön“, aber nicht für sachliche politische Auseindersetzungen. „Die dahingehenden Verheißungen aus der Anfangszeit haben sich leider nicht erfüllt.“

www.facebook.com/07141Ludwigsburg/