Für Ehrenamtliche des Roten Kreuzes ist das Lebensende allgegenwärtig. Sie helfen Hinterbliebenen, Todesnachrichten zu verarbeiten.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Ein Platz nahe dem Tod, „das ist, glaube ich, mein Platz im Leben“, sagt Monika Friedrich. Gedanken an das Ende warten auf Friedhöfen in Hundertschaften auf sie, die Gedanken lauern an Straßenkreuzungen, in den Gesichtern von Menschen, manchmal Nachbarn und Freunden sogar. Aber sie paaren sich mit der Gewissheit, geholfen zu haben in schlimmster seelischer Qual.

 

Notfallnachsorgedienst nennt das Rote Kreuz etwas hölzern, was Friedrich in seinem Namen tut, ehrenamtlich. Früher rief ein Polizist an, mit einiger Gewissheit kein glücklicher, um Botschaften wie diese zu übermitteln: „Es tut mir leid, ihr Mann ist gestorben, bei einem Autounfall.“ Wenn der Polizist den Telefonhörer auflegte, blieb ein Mensch in Schock zurück, in Trauer oder der Weigerung, das Gehörte zu glauben, in jedem Fall in Einsamkeit. Heute klingelt die Polizei und hinter ihr stehen Menschen wie Monika Friedrich, bereit, in den nächsten Stunden jedem zu helfen, eine solche Botschaft zu begreifen, häufig im Wortsinn: mit einer Fahrt zum Bestatter oder ins Krankenhaus, für eine letzten Berührung des toten Körpers.

Vor 20 Jahren ist der Dienst im Kreis Böblingen gegründet worden

Vor 20 Jahren ist der Dienst im Kreis Böblingen gegründet worden, als einer der ersten landesweit. Neben Friedrich sitzt Ute Widmann. Sie war eine der ersten, die sich meldeten, damals kaum dem Jugendalter entwachsen. Friedrich ist seit 18 Jahren im Dienst. Ihr Motiv war die eigene Verzweiflung nach dem frühen Tod ihres Vaters. Widmann meldete sich als Jugendliche beim Roten Kreuz an. Danach kam schlicht eines zum anderen.

Was sie tun, wird niemals zur Routine. Das Hirn ist nicht im Stande, extremes Erleben als nebensächlich abzulegen. Friedrich erzählt von einem Einsatz nach einem Amoklauf in Stuttgart. Monatelang hallte der Schrei ihr nach, den ein Ehemann beim Anblick seiner toten Frau ausstieß. Der Täter hatte sie mit einem Samuraischwert hingerichtet. Selbst die Gerüche des Tatorts, einer Kirche, hingen ihr immer wieder in der Nase. „Das ist normal“, sagt Widmann, „auch dass man von einem Einsatz träumt“. Neulingen empfehlen sie, zumindest anfangs bei Licht zu schlafen. Dunkelheit fördert Ängste und das Kreisen der Gedanken. Vier Wochen, höchstens sechs, gelten als Grenze. So lange darf das Geschehen den Geist belagern. Werden sie überschritten, ist es Zeit für eine Einsatzpause und ein paar Sitzungen beim Psychologen.

Hauptursache für Tod oder Lebensgefahr ist der Selbstmord

42 Helfer zählt der Dienst heute. Etwa 100 Mal jährlich fahren sie zu Hinterbliebenen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie können jederzeit ablehnen, aber sogar am Heiligen Abend waren sie schon im Einsatz. Längst sind nicht mehr Verkehrsunfälle die Hauptursache für Tod oder Lebensgefahr. „Zu 75 Prozent ist es Suizid“, sagt Widmann. Wenn die Polizei die Nachricht überbracht hat, stellen die Helfer sich vor. Sie kommen immer zu zweit. Ist ihre Hilfe unerwünscht, kehren sie um. Werden sie eingelassen, beginnt eine Zeit der Ungewissheit.

Auf Todesnachrichten „reagiert jeder völlig individuell“, sagt Friedrich. „Manche brauchen eine Hand auf der Schulter, andere würden sie wegschlagen, das muss man spüren.“ Manche schreien ihren Schmerz heraus, andere schweigen, manche wollen reden, über jedes erdenkliche Detail des Geschehenen, andere einfach nur duschen. Friedrich erzählt von einer Frau, deren Sohn bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Die Mutter wollte kochen, als käme er zum Abendessen. Anderthalb Stunden standen die Frauen am Herd. Danach haben sie gemeinsam die Erinnerungen im Fotoalbum durchgesehen.

Der Dienst am Hinterbliebenen lockt keine speziellen Charaktere. Die Helfer sind so vielfältig wie das Leben in einer Fußgängerzone, aber die Interessenten stehen nicht eben Schlange. In der Mehrzahl sind es Rentner oder Frührentner, die sich freiwillig melden. Sie durchlaufen eine Ausbildung, neun Tage Seminar an Wochenenden, Treffen im DRK-Haus auf dem Flugfeld. Danach gehen sie mit erfahrenen Helfern auf Probeeinsätze. „Jeder zweite oder dritte“, sagt Widmann, „entscheidet sich dann, dass es doch nichts für ihn ist“.