Das Landesprojekt ESA soll alleinerziehenden Frauen den Weg ins Berufsleben ebnen.

Feuerbach - Saadet Uz entschied sich mit 37 Jahren, noch einmal die Schulbank zu drücken. Aufgrund einer Allergie an den Händen konnte die alleinerziehende Mutter ihren alten Beruf als Friseurmeisterin nicht weiter ausüben. Vor sechs Jahren begann sie eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten. Beim Verein Christliches Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) konnte sie an dem ESA-Vorgängerprojekt „Teilzeitausbildung für junge Mütter“ teilnehmen – obwohl sie dafür eigentlich zu alt war. Doch in ihrem Fall wurde eine Ausnahme gemacht, und die gebürtige Türkin, die in Deutschland aufgewachsen ist, ergriff diese Chance.

 

Beim CJD belegte sie Computerkurse, um wieder für den Arbeitsmarkt fit zu werden. Bei einem Praktikum bei der Stadt Karlsruhe schnupperte sie in das neue Berufsfeld hinein. Mit ihren beiden Kindern, die heute 13 und 17 Jahre alt sind, redete die alleinerziehende Frau zu Beginn der Ausbildungszeit in aller Offenheit: „Das wird für uns alle eine stressige Zeit. Ich brauche dabei eure Unterstützung“, sagte sie ihrem Sohn und ihrer Tochter.

Vor allem das Lernen sei ihr anfangs schwer gefallen. „Ich musste mich schon zusammenreißen“, sagt die heute 43-Jährige. Inzwischen arbeitet sie halbtags bei der Stadt Stutensee in der Nähe von Karlsruhe und schult als Dozentin beim CJD ihre Nachfolgerinnen. Sie bereitet junge Frauen auf das vor, was da alles an Problemen auf sie zukommt, sollten sie den Spagat zwischen Job und Erziehung wagen. Denn für alleinerziehende Frauen ist der Weg zurück oder auch der Neueinstieg ins Berufsleben oft sehr schwierig. „Mit einem kleinen Kind eine Teilzeitausbildung erfolgreich hinter sich zu bringen, ist eine Knochenarbeit“, sagt Bernhard Baldas. Der Projektleiter von „Existenz sichernde Arbeit für Alleinerziehende“ (ESA) beim CJD betont, dass die Projektteilnehmerinnen hoch motiviert sein müssen, wenn sie diese Doppelbelastung meistern wollen.

Ein Problem ist die Kinderbetreuung während der Ausbildung

Um den Müttern eine Ausbildung und den Einstieg in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, beteiligt sich das CJD an dem neuen Angebot. Am Mittwoch wurde das Kooperationsprojekt des CJD Feuerbach und Karlsruhe im Bürgerhaus an der Stuttgarter Straße vorgestellt. Im Verlauf der Bildungsmaßnahme sollen die Teilnehmerinnen in mehreren Phasen bereit für den ersten Arbeitsmarkt gemacht werden. In einem Erstgespräch werden sie informiert, was auf sie zukommt. Die Ausgangssituation wird analysiert, danach folgen eine Coaching-, Werkstatt- und Vermittlungsphase. Eines der Hauptprobleme ist die Kinderbetreuung während der Ausbildungszeit: „Wir betreiben beim CJD 30 Kindertagesstätten und Krippen“, sagt Norbert Litschko, Mitglied der Geschäftsleitung. Eine weitere CJD-Kindertagesstätte soll voraussichtlich noch in diesem Jahr in dem Neubaugebiet auf dem ehemaligen Feuerbacher Krankenhausgelände eröffnet werden. Eine junge Teilnehmerin des Bildungsprojektes habe ihr Kind dort bereits angemeldet, berichtet Litschko.

„Ohne ein gutes Netzwerk an Freunden geht es nicht“

Aber auch das private Umfeld muss mitziehen: „Ohne ein großes und gutes Netzwerk an Freunden, die im Notfall einspringen, geht es nicht“, sagt Claudia Kaul. Die junge Mutter zog vor sechs Jahren von Bremen nach Stuttgart, ihre eigenen Eltern ließ sie im hohen Norden zurück. Es galt, viele Hürden zu überwinden.

Obwohl alleinerziehende Frauen gute Netzwerker und im Alltag oft hoch belastbar sind, haben viele Betriebe in Baden-Württemberg diese Ressource noch nicht für sich entdeckt. Kaul hat dies selbst erfahren: Bei der Stuttgarter Ausbildungsmesse ging die Frau von Stand zu Stand und fragte bei den Firmen nach, ob es Ausbildungsplätze als Teilzeitmodell gebe. So gut wie allen Betrieben sei der Begriff „Teilzeitausbildung“ völlig unbekannt gewesen. „Ich habe mir den Mund fusselig geredet und immer wieder das Gleiche erklärt.“ Trotz ihrer sprachlichen Kompetenz fand sie auf diesem direkten Weg keine Ausbildungsstelle. Also wandte sie sich an das Berufsförderwerk des DGB, die mit Hilfe des ESA-Programms „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ ähnliche Hilfen wie das CJD anbieten. Inzwischen hat es geklappt. Sie absolviert nun eine Teilzeitausbildung zur Bürokauffrau.

„Alleinerziehende arbeiten sich oft arm“

„Es wird häufig unterschätzt, in welcher verzweifelten Situation sich manche alleinerziehende Mutter befindet“, sagt Gudrun Rößler-Edelmann. Die Beauftragte für Chancengleichheit beim Jobcenter Stuttgart kennt die Biografien von jungen Müttern, die wegen der Geburt des Kindes die Schule oder Ausbildung abbrechen und danach ohne Abschluss dastehen. Manche Frauen würden sich mangels einer Zukunftsperspektive jenseits von Hartz IV in die nächste Schwangerschaft stürzen. In vielen anderen Fällen bleiben für Alleinerziehende ohne Berufsausbildung oft nur die Billigjobs übrig. Der Verdienst reicht nicht, um den Lebensunterhalt zu finanzieren: „Alleinerziehende arbeiten sich oft arm, weil sie in Branchen beschäftigt sind, die keine existenzsichernde Bezahlung anbieten“, sagt Santina Intemperante. Die Beauftragte für Chancengleichheit der Arbeitsagentur Villingen-Schwenningen und Rottweil kennt die Zahlen. Mehr als ein Drittel der bei den Jobcentern gemeldeten erwerbstätigen Alleinerziehenden sind sogenannte Aufstocker. Das heißt: Sie erhalten eine Grundsicherung. Deshalb sei der Ausbau von Teilzeitausbildungsplätzen mit sozialpädagogischer Unterstützung für sie so wichtig. „Die Ausbildung ist die Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt“, sagt Santina Intemperante.

Saadet Uz hat sich trotz aller Widrigkeiten und mit viel Fleiß dieses Eintrittsbillett erworben. Neulich hat sie in ihrem Kurs mit jungen Müttern einfach mal zusammengezählt, wie viele Tätigkeitsbereiche Alleinerziehende in ihrem familiären Alltag so abdecken: „Wir kamen auf 30 Berufe.“ Das Spektrum reichte von der Krankenschwester über die Nachhilfelehrerin, Näherin und Köchin bis zur Richterin.