Sind kreative Menschen eigentlich besonders häufig hochsensibel?
In allen Bereichen der Kunst sind sicher viele Hochsensible: Schriftsteller, Maler, Grafiker, Musiker. Auch Schauspieler, die mit viel Einfühlung in ihre Rollen gehen.
Sind Hochsensible immer sehr in sich gekehrte und stille Typen?
Dem Klischeebild zufolge sind sie eher leise und zurückhaltend. Aber längst sind nicht alle hochsensiblen Menschen introvertiert. Laut den Studien von Elaine Aron sind circa 30 Prozent von ihnen extrovertiert. Sie gehen gerne unter Menschen und brauchen viel Anregung im Austausch mit anderen.
In vielen Berufen muss man ja einfach auch extrovertiert sein.
Hochsensible können sozial extrovertiert sein und zugleich im Denken und Fühlen sehr auf ihr Inneres bezogen sein, insofern sind wohl auch die Kontaktfreudigen unter ihnen nicht hundertprozentig extrovertiert. Alle Hochsensiblen finden Erholung in Phasen des Rückzugs und des Alleinseins. Da können sie die vielen aufgenommenen Informationen verarbeiten, wieder zur Ruhe zu kommen und neue Kraft schöpfen.
Sie haben ein Buch zum Thema geschrieben und arbeiten als Coach und Leiterin von Gesprächsgruppen von Hochsensiblen. Was erwarten Ihre Klienten?
Menschen mit starken psychischen Problemen werden sicher eine Therapie suchen. Coaching ist für diejenigen, die im Grunde ziemlich gut zurechtkommen, aber jemanden suchen, der mit ihnen auf ihre Lebensgestaltung schaut und wichtige Entscheidungen mit ihnen durchdenkt.
Können Sie ein paar allgemeingültige Empfehlungen aussprechen?
Häufig geht es in den Coachings um die Berufstätigkeit. Die Arbeit nimmt viel Zeit ein und fordert viel Energie. Leistungsdruck, Zeitdruck, Überstunden und die oftmals erwartete ständige Erreichbarkeit sind ein Thema. Ausreichend Pausen und Freizeit, in der man buchstäblich abschalten kann, sind für Hochsensible noch wichtiger als für andere. Wenn irgend möglich ist eine Teilzeitbeschäftigung anzustreben, weil dann das Verhältnis zwischen Arbeit und Erholung den Bedürfnissen weitaus besser entspricht. Hochsensible sind durchaus leistungsfähig, müssen sich aber gut um sich selbst kümmern, damit sie nicht in die Erschöpfung geraten. Eine Lösung, die sich bewährt hat, ist zum Beispiel ein freier Tag in der Mitte der Woche. Erleichterung kann es bringen, sich zumindest für Arbeiten, die hohe Konzentration erfordern, einen Raum zu suchen, in dem man alleine ist oder mit Kollegen, die ebenfalls in Ruhe an etwas arbeiten, oder Arbeitszeiten zu wählen, die versetzt sind zu denen der meisten anderen.
Was können Hochsensible für sich tun? Was können andere zum Wohlergehen beitragen?
Ganz allgemein lautet mein Rat: sich selbst annehmen, wie man nun einmal ist, sich nicht permanent zu viel zumuten, sondern sich Zeiten für Erholung nehmen, sich reichlich Schlaf gönnen, viel hinausgehen in die Natur, ins Grüne, ans Wasser. Die Mitmenschen sollten das Empfinden der Hochsensiblen anerkennen und nicht etwa wegreden wollen. Bitte keine Sätze mehr wie „Stell dich nicht so an!“, „Leg dir doch einfach ein dickeres Fell zu“ oder „Nimm dir doch nicht alles zu Herzen!“. Lieber miteinander konstruktive Lösungen für die kleinen und großen Probleme suchen und sich gegenseitig an den Wesensunterschieden freuen.