Über Facebook haben sich Fellbacher zusammengeschlossen, die einen Wohnsitzlosen mit Essen und Ausrüstung versorgen. Doch der Beschenkte zeigt sich eigenwillig – und unter den Helfern gibt es Diskussionen: Wie weit soll die Hilfe gehen?

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Fellbach - Es war eine Geschichte wie geschaffen für den Martinstag: Gerührt vom Foto eines Mannes, der die kalten, nassen Novembernächte am Ortsrand so gut wie ungeschützt im Freien verbringt, haben Fellbacher Bürger in der vergangenen Woche eine Hilfsaktion ins Leben gerufen. Sie gründeten eine Facebook-Gruppe, in der sie überlegten, wie sie den Nichtsesshaften am besten unterstützen könnten. Sie kauften ihm Lebensmittel, organisierten den Transport in ein Gartengrundstück, stellten dem Mann sogar eine beheizbare Gartenhütte zur Verfügung.

 

In der Vorstellung der Helfer hätte die Geschichte aus dem Rems-Murr-Kreis hier ihr glückliches Ende haben können: Ein warmes Plätzchen für den Wohnsitzlosen, leuchtende Augen bei dem Beschenkten, und bei den engagierten Fellbachern das gute Gefühl, jemandem in der Not geholfen zu haben. Doch wie die Realität so spielt: Die Geschichte nimmt eine andere Wendung.

Der Tütenmann hat eine Vorliebe für Fast-Food

Eigentlich hatten sich die Fellbacher Sorgen darum gemacht, ob der Nichtsesshafte ihre Hilfe überhaupt annehmen würde. Nun offenbart der „Tütenmann“, wie er wegen der Art, wie er sein Hab und Gut transportiert, genannt wird, aber in anderer Weise seinen eigenen Kopf. Zwei Helferinnen kümmern sich im Alltag um den Nichtsesshaften.

Sie erzählt, er ließe Essen zurückgehen, wenn es ihm nicht schmecke. Eine neuwertige Matratze, die ihm geschenkt worden sei, habe er ins (freilich nasse) Freie gebracht und er gebe regelrechte Einkaufslisten bei den Helfern auf. Eine Vorliebe habe er für Nutella-Brot und Fastfood.

Lesen Sie hier, was ein Experte zu Hilfsaktionen für Wohnsitzlose sagt

Auch wenn die Helfer ihn durch kleine Deals dazu bringen wollen: Frische Klamotten oder gar eine Dusche möchte der Tütenmann einfach nicht annehmen. Auch sein altes Hab und Gut, das er immer in schweren Tüten um den Hals trägt, will er partout nicht ablegen – „vielleicht ist er einfach schon zu oft enttäuscht worden“, vermutet eine der Helferinnen. Jedoch hat auch ihre Toleranz Grenzen: „Als eine von uns nach Hause zu ihrem Kind musste, hat er kein Verständnis gezeigt“, so die Helferin. „Es war uns zwar klar, dass wir ihn wohl für die zwei, drei kalten Monate versorgen müssen. Aber seine Vorstellungen sind teils sehr überzogen“, sagt sie.

Sie beschreibt den Tütenmann, der sich selbst Mag nennt, als „eigentlich megasortiert und wahnsinnig intelligent“: Er rede gern über Architektur oder Esoterik. „Vielleicht ist er aber auch so intelligent, dass er uns vergackeiert“, meint sie.

Braucht der Tütenmann ein Handy? Die Frage sorgt für Diskussionen

Aber immerhin kann sie auch von kleinen Fortschritten berichten. „Vergangene Woche hat er sich zum ersten Mal bedankt“, berichtet sie. Nun wollen die Helfer den Tütenmann, der sich wegen der Last seiner Tüten nur ungern aus der sitzenden Position erhebt, Schritt für Schritt etwas weniger umsorgen. Auch beim Speiseplan wollen die Helfer rigoroser sein:  „Man kann ja auch mal Nudeln oder Kässpätzle essen statt immer Sachen von McDonalds oder vom Chinesen.“

In der Facebookgruppe, in der die Hilfe für den Wohnsitzlosen organisiert wird, ist die Zustimmung nach wie vor groß. Doch es gibt auch kritische Töne: Nachdem eine der Helferinnen dem Tütenmann für Notfälle ein Handy organisieren wollte, schrieb ein Gruppenmitglied, demnächst stifte man dem Obdachlosen wohl noch eine Dreizimmerwohnung: „Über erste Hilfe geht das hinaus“, schrieb sie. Die Helfer allerdings: „Wir wollen von dem Geld weder ein Radio noch ein Handy kaufen.“ Schließlich müssten die Spenden reichen, um den Tütenmann für zwei bis drei Monate zu ernähren.