Marcel vom Lehn berichtet im ersten Kapitel seines Buches über die Nazi-Zeit, wie die Firma Walter Knoll in die Rüstungsproduktion einstieg – und welche Rolle damals der Gemeinderat spielte.

Herrenberg - Die Zustimmung zum Nationalsozialismus war in Herrenberg überdurchschnittlich groß“, sagt der Historiker Marcel vom Lehn, „aber im Vergleich zu protestantischen-ländlichen Gegenden im Rahmen.“ Zu dieser ersten Erkenntnis kommt der

 

Geschichtsforscher, der sich seit einem Jahr der Aufarbeitung der NS-Historie in der Gäustadt widmet. In seinem ersten Kapitel seines in einem Jahr erscheinenden Forschungswerks beschreibt vom Lehn, der im Auftrag der Stadt tätig ist, die Zeit des „totalen Kriegs“. Besonders hilfreich sind für ihn die detailgenauen Gemeinderatsprotokolle etwa aus der Zeit zwischen 1941 bis 1947. Ein wichtiges Thema dabei ist die Kriegsproduktion mit Zwangsarbeitern bei der Firma Knoll sowie die Rolle des Gemeinderats.

„Der Herrenberger Bürgermeister Jakob Schroth informierte den Gemeinderat in der Sitzung vom 20. Dezember 1943 darüber, dass ihn Walter Knoll selbst am 6. Dezember 1943 über die Stilllegung seiner Firma unterrichtet habe“, berichtet vom Lehn. Seit der Einführung der Deutschen Gemeindeordnung im Jahr 1935 haben zum Herrenberger Gemeinderat der Bürgermeister gehört, zwei Beigeordnete und acht Ratsherren. Die Beigeordneten fungierten dabei als Stellvertreter des Bürgermeisters, der offiziell die alleinige Entscheidungsgewalt besaß. Im Laufe des Krieges wurden aber nicht mehr alle Stellen besetzt. So hat der Gemeinderat laut dem Protokoll in der Zeit der Betriebsverlagerung der Böblinger Flugzeugfirma Klemm nach Herrenberg im Jahr 1943/44 nur noch aus dem Bürgermeister, den beiden Beigeordneten, dem Kreispropagandaleiter Rauch und dem SA-Obersturmbannführer Rilling, sowie aus den vier Ratsherren Greiß, Böckle, Kurz und Gottlob Hiller bestanden. Vom Jahr 1943 an seien alle in der NSDAP gewesen, hat der Historiker ermittelt.

Teile für das Kampfflugzeug Me 163 produziert

Die Räume der Firma Knoll wurden nach den Erkenntnissen des Historikers zum 1. Januar 1944 von der Firma Klemm übernommen. Laut dem ihm vorliegenden Protokoll habe der Gemeinderat diese Entscheidung akzeptieren müssen, da es sich um eine kriegswichtige Maßnahme gehandelt habe, gegen die kein Einspruch möglich gewesen sei, sagt vom Lehn. Dies sei glaubwürdig, da nach seinen Recherchen bei Klemm-Knoll Teile für das Kampfflugzeug Messerschmitt 163 produziert worden seien, das als eine „Wunderwaffe“ gegolten habe. Deshalb seien mehrfach Rüstungsbeauftragte aus Berlin nach Herrenberg gereist. Die Me 163 sei damals das schnellste Flugzeug der Welt gewesen, aber kaum zum Einsatz gekommen und habe wie alle „Wunderwaffen“ letztlich keine Auswirkung auf den Kriegsverlauf gehabt.

Welche Behörde die Verlagerung der Produktion nach Herrenberg anordnete, hat vom Lehn bisher noch nicht ermitteln können. Offensichtlich war die Verlegung aber eine Folge des schweren Luftangriffs auf Böblingen am 7. und 8. Oktober 1943, wie aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 1. Mai 1944 hervorgeht. Dort ist davon die Rede, dass wegen der Zerstörungen in Böblingen die Klemm-Arbeiter nicht mehr untergebracht werden konnten und daher Quartiere in Herrenberg benötigten. Während dieser Zeit seien auch Lager für ausländische Zwangsarbeiter errichtet worden, erklärt vom Lehn.

Jetziger Firmeninhaber an der Historie interessiert

„Walter Knoll war für die Flugzeugproduktion zwar nicht zuständig, blieb aber verantwortlich für die gesamte Belegschaft in seinen Fabrikräumen“, berichtet vom Lehn weiter. Der Werkschutz von Knoll habe die Bewachung der Zwangsarbeiter übernommen. Von der Arbeit des Historikers wissen auch die jetzigen Inhaber des Herrenberger Unternehmens Knoll. Die Familie Benz habe die Firma Knoll im Jahr 1993 von den Gesellschaftern der Familien Knoll und Combe erworben, teilt der Firmenvorstand Markus Benz mit. Aus den Nachfragen bei ehemaligen Mitarbeitern und der Durchsicht der vorhandenen Archive hätten sich nur wenig konkrete Angaben zu dieser Zeit ergeben.

Die einstige Firma Knoll sei seinerzeit im wesentlichen auf eine Schreinerei und Polsterei ausgerichtet gewesen, weiß Markus Benz. Man habe Transportkisten und auch Teile für die Firma Klemm gefertigt. „Nach unseren Erkenntnissen gab es bei der Firma Walter Knoll aber keine Zwangsarbeit“, lässt er wissen und fügt hinzu: „Zu einer Aufklärung tragen wir gerne unseren Teil bei. Natürlich ist man als Inhaber eines Traditionsunternehmens, das durch die guten und die dunkeln Zeiten ging, an der Historie interessiert.“