In ihrem Buch „Alice im Niemandsland“ besichtigt die Historikern Miriam Gebhardt die deutsche Frauenbewegung und fordert die „Abdankung“ der feministischen Symbolfigur. Die StZ-Autorin Adrienne Braun hat mit Gebhardt gesprochen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn man eine Umfrage machen würde, wer in diesem Lande den Feminismus vorangebracht hat, fiele vermutlich nur ein Name: Alice Schwarzer. Wo immer die Rechte der Frauen diskutiert werden, stets ist Alice Schwarzer vornedran, selbstverständlich wird sie als Sprachrohr der Frauenbewegung begriffen – und das seit vierzig Jahren. Genau deshalb, davon ist Miriam Gebhard überzeugt, steht es so schlecht um den Feminismus im Land.

 

Miriam Gebhardt ist Historikerin und hat die Geschichte des Feminismus in Deutschland aufgearbeitet. Ihr Fazit: der Feminismus hat sich seit den siebziger Jahren nicht weiterentwickelt. Er hat den Anschluss an internationale Bewegungen verloren. Schlimmer noch: junge Frauen wollen mit der Frauenbewegung nichts zu tun haben. Schuld daran ist Alice Schwarzer.

„Alice im Niemandsland“ nennt sich das kürzlich erschienene Buch, in dem Miriam Gebhardt abrechnet mit der „Symbolfigur“ Schwarzer. Die Frauenbewegung habe die Frauen verloren, weil Schwarzer sich inhaltlich nicht weiterentwickelt habe. Ob es um den Kachelmann-Prozess geht oder Schwarzers Ruf nach einem Kopftuchverbot – Alice Schwarzer schleppe immer noch „die Themen aus den siebziger Jahren mit“: die Annahme, dass Frauen immer die Opfer sind. Die Vorstellung, dass Frauen nach westlichem Ideal aufgeklärt sein müssen. Und der Glaube an eine feministisch korrekte Sexualität.

Zwei biologische Blöcke – das ist ihr zu simpel

Wenn man Miriam Gebhardt nach der aktuellen Sexismusdebatte fragt, sagt sie, sie sehe sich dadurch bestätigt in ihren Thesen. „Ich freue mich, dass das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt.“ Aber im Grunde drehe sich die Debatte wieder wie in den siebziger Jahren um „sexual politics“, sagt sie, „um Sexualität, sexuelle Gewalt, sexuelle Bilder“. Und nach wie vor würden „zwei biologische Blöcke gegeneinanderstehen: hier der Mann, der sexuell aktiver, aggressiver ist, dort die der Verfolgung ausgesetzte schwächere, prüdere Frau“, wie Gebhardt es zuspitzt. „Ich würde mir wünschen, dass wir von diesen grundsätzlichen Geschlechterbildern wegkämen.“

Miriam Gebhardt unterrichtet an der Universität Konstanz Geschichte, sie hat viel mit jungen Frauen zu tun. Diese fühlten sich von dem von Schwarzer vertretenen Feminismus abgestoßen. „Junge Frauen in meinen Lehrveranstaltungen zu Genderstudies und Geschlechtergeschichte sagen, sie könnten sich wegen Alice Schwarzer nicht selbst als Feministin beschreiben.“ Deren Lebenswirklichkeit habe nichts mehr mit dem von Schwarzer an die Wand gemalten Patriarchat zu tun. Die jungen Frauen „bespiegeln sich bis in die letzte Körperritze, sie wollen wissen, wie sie ein glückliches Leben führen können, mit oder ohne Karriere“, schreibt Gebhardt. Schwarzer werfe ihnen deshalb vor, „Wellness-Feminismus“ zu betreiben.

Schwarzer, die „böse, strenge Mutter“

Gebhardt hat beobachtet, dass die jüngeren Frauen, die in einer sexualisierten Medienwelt groß geworden sind, starken Druck verspüren, sich sexy kleiden und positionieren zu müssen. Alice Schwarzer trete da wie eine böse, strenge Mutter auf, die das verbietet: „Wer vom Pfad ihrer Siebziger-Jahre-Ideologie abweicht, gilt Schwarzer sofort als Verräterin.“

„,Ändere dich gefälligst‘-Feminismus“ nennt sie diese Position innerhalb der Frauenbewegung – und markiert damit den deutlichsten Unterschied zwischen früheren feministischen Bewegungen und dem Protest der Frauen in den siebziger Jahren. „Der historische Feminismus arbeitet nicht gegen die Frauen, sondern mit ihnen“, schreibt Gebhardt in ihrem Buch, „er macht die angeblichen Schwächen zu Stärken.“ Alice Schwarzer vertrete dagegen die Position, Frauen müssten sich „so lange reformieren, bis sie nur noch Menschen sind“. Miriam Gebhardt hält es deshalb für höchste Zeit, dass Alice Schwarzer abdankt, der Generationskonflikt innerhalb der deutschen Frauenbewegung endlich nicht mehr ignoriert wird und die jungen Frauen auch nicht mehr als Verräterinnen abgetan werden. „Dass sich Alice Schwarzer so sehr darüber ärgert, wenn sich Jüngere auf ihre eigene Art und Weise dem Thema Feminismus stellen, ist Teil der Pathologie der deutschen Frauenbewegung.“

Kritik wird als antifeministischer Angriff gefeiert oder verurteilt

An den deutschen Universitäten gibt es übrigens durchaus Feministinnen und feministische Forschung, die auf der Höhe der internationalem Debatte ist. Aber auch deren Stimme werde von der omnipräsenten Alice Schwarzer verdrängt, meint Gebhardt. Das „größte Dilemma der neuen Generation von Feministinnen hierzulande“ sei, „dass jede Kritik an der Symbolfigur Schwarzer sofort als antifeministischer Angriff gefeiert oder kritisiert“ werde und „damit als politisch unkorrekt abgeschmettert werden“ könne.

So fruchtbar die aktuelle Diskussion über Sexismus und die Rolle der Frauen sein mag, Gebhardt ist sich sicher, dass die Frauenbewegung keinen Schwung bekommen wird, solange Alice Schwarzer stets als deren Stimme auftritt. Wobei Schwarzer zu einem bis heute eisern schweigt: den Vorwürfen von Miriam Gebhardt.

Die Autorin Miriam Gebhardt

Miriam Gebhardt ist 1962 in Freiburg geboren und arbeitete zunächst als Journalistin. Sie studierte Literatur und Geschichte, 2008 habilitierte sie sich an der Universität Konstanz in Neuerer und Neuester Geschichte und wurde Privatdozentin. Heute lebt sie als freie Autorin bei München. Sie hat über die Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert geforscht und zuletzt eine Biografie von Rudolf Steiner veröffentlicht. Ihr Buch „Alice im Niemandsland – Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ ist in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen (19,99 Euro).